Körbe und Sozialverhalten

PERSPEKTIVEN Basketball fürs Problemviertel: Im Hamburger Süden will ein Verein kleine Jungs davor bewahren, später einmal zu schweren Jungs zu werden

VON ROGER REPPLINGER

Kinder auf der Schaukel, daneben ein Wal aus Holz, der auf dem Sand gestrandet ist. Ein paar Jungs lümmeln sich auf den Stufen, tauschen Fußballbilder. Wir fragen nach der Turnhalle. „Hier rechts runter“, sagt einer. „Hier?“, fragen wir. „Jo.“ In die Tür ist ein Stuhl geklemmt. Eine schwere Tür: Metall, Glas hinter Gitter. Gut gesichert, die Turnhalle der Schule am Hamburger Slomanstieg. Als läge hier das Geld, das die Slomans Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts mit Salpeter gemacht haben.

Dabei liegt, was hier wichtig ist, nicht. Es sitzt: Wenn Jungs zwischen 14 und 16 und zu groß für ihr Alter, auf diesen Turnbänken sitzen, sieht das komisch aus. Bei Marvin Willoughby sogar noch komischer: Der ist 34 und zwei Meter irgendwas. Ach ja: Es geht um Basketball.

Willoughby, in Hamburg-Wilhelmsburg geboren, hat Small oder Power Forward gespielt, erst für Rist Wedel, dann mit Dirk Nowitzki für Würzburg, dann für Köln, Reggio Calabria, für Élan Béarnais Pau-Lacq-Orthez, nochmal für Köln und Wedel, 35 Länderspiele. Er ist Trainer der U 16-Nationalmannschaft, des Teams der Jugend-Basketball-Bundesliga „Piraten Hamburg“ – und er ist eine Perspektive: Man kann es schaffen, wenn man aus dem „Problemstadtteil“ Wilhelmsburg ist, einen nigerianischen Vater und eine deutsche Mutter hat, talentiert und ehrgeizig und cool ist.

Es ist Mittwoch, und die zwölf Jungs, die auf den Bänken kauern, kommen vom Verein „Sport ohne Grenzen“ in Wilhelmsburg. Sie sind sehr ruhig. Sagen die, die wissen, wie die Jungs sind, wenn Willoughby nicht da ist. Beim letzten Training etwa war es laut: viel Gedisse, Stress, Rumgeschubse. Die Jungs sind da, weil sie lernen sollen, dass Dissen, Stressen und Rumschubsen nichts bringt. Im Sport nicht und auch sonst. Die Zeit-Stiftung finanziert die Schokoriegel, das Wasser und den Rest des Pilotkurses, der hier läuft.

„Die Jungs, die Fußball spielen, sind anders drauf als die Basketballer“, sagt Rebekka Salome Henrich. Sie hat mit ihrem Verein „Zweikampfverhalten“ etlichen jungen Fußballern Hamburgs beigebracht, was auf dem Platz geht und was nicht. Beim Fußball laufen härtere Sachen gegen Schiedsrichter und Gegenspieler, beim Basketball geht es gegen die Mitspieler. „Sozialverhalten“, sagt Roland, „unser Sozialverhalten ist echt nicht gut.“ Roland ist 15, geht auf die Gesamtschule Veddel, achte Klasse, spielt bei den Piraten, Small Forward, wie Willoughy.

Roland spielt auch bei „Sport ohne Grenzen“, sein Trainer Marcus Asante Boakye hat ihm gesagt, dass es da ein Projekt gibt, „wo’s drum geht, dass wir lernen, wie wir mit anderen Leuten umgehen sollen“, sagt Roland.

Und? Was ist das, Sozialverhalten, konkret? Wir schweigen ein bisschen. Reden lernen gehört auch dazu. „So soziales Leben“, sagt Roland. Und dann erzählt er, dass ein Kumpel vor zwei Wochen auf der Straße Stress hatte. „Wurde blöd angemacht“, sagt Roland, der nicht selbst dabei war, „ist eskaliert … Schlägerei.“ Heftig? Roland nickt. Andere reingezogen? Roland schüttelt den Kopf: „Die haben das eins gegen eins geklärt.“ Und – Krankenwagen? Blöde Frage: „Wenn beide Schuld haben“, sagt Roland, „da ruft keiner den Krankenwagen.“

Das Ding ist, „nicht unter die Gürtellinie zu gehen“, sagt Roland. Und wenn der „andere bei mir unter die Gürtellinie geht, dann geh ich nicht bei ihm unter die Gürtellinie“. Sonst? „Eskaliert es“, sagt Roland. Ignorieren muss er lernen, so wie sie es im Team ignorieren müssen, wenn einer disst, stresst oder schubst.

Die Jungs bereden, was sie in den verschiedenen Einheiten des Kurses gelernt haben. Und dann spielen sie ein bisschen Basketball. Willoughby verlangt ziemlich schwierige Sachen von ihnen. Es geht darum, zu sehen, was sie machen, wenn einer Mist baut. Es wird nicht sehr laut, sie versuchen einander zu helfen. Willoughby klatscht. Er wird nie laut: Er ist zu groß und war zu gut.

Willoughby wohnt in Hamburg-Eppendorf und heiratet bald. Er weiß, wie es abgeht, hier auf der Veddel im Hamburger Süden. „Die Menschen, die hier arbeiten, sagen, dass es schlimmer ist als zu meiner Zeit, aber das haben sie damals auch gesagt.“ Er hat den Eindruck, dass es, „was Drogen und Gewalt angeht, nicht mehr so schlimm ist wie in den Neunzigern“. Er habe damals keine Angst auf der Veddel gehabt – „aber höllisch Schiss vor Bergedorf“.

Nach seiner Beobachtung sind die „Jungs aggro als Abwehrverhalten“. Sie sagen sich: „Ich bediene die Klischees, die die Leute von uns haben, dann haben sie wenigstens mit Recht Angst vor mir.“ Er versucht ihnen klarzumachen, dass solches Verhalten nur denen was bringt, die zu wissen glauben, wie die Veddel so ist. Dass ein paar Politiker mit diesen Vorurteilen ihr Süppchen würzen.

Von all den großen Jungs ist Ahmet der kleinste. Er wurde heftig gedisst, vorher und in den ersten Tagen des Kurses. Von Willoughby bekommt er besonders viel Aufmerksamkeit. Ahmet spürt das. Er lernt besser und läuft schneller, wenn ihm Marvin Willoughby vorher seine Hände auf die Schultern gelegt hat. Am Ende des Trainings klatschen Ahmet und Marvin ab.

Die Jungs drinnen räumen jetzt Bälle und Bänke auf, die Jungs draußen sitzen immer noch auf der Treppe und tauschen Fußballbilder, der Wal liegt immer noch auf dem Sand und drei Mädchen schaukeln, dass die Schaukel knirscht.