Zuhause im Schrebergarten: Kein Platz fürs Wohnen im Grünen

Angesichts wachsender Wohnungsnot überlegt Rot-Grün in Bremen, das Leben in Kleingärten wieder zu erlauben. Bislang war das ein großes Tabu.

Ein "Kaisenhaus" in Bremen: 1948 im Kleingartengebiet gebaut, bis heute legal bewohnt - aber eine Ausnahme. Bild: Jan Zier

BREMEN taz | Wohnen im Schrebergarten? Noch ist das in Bremen streng verboten und jene, die das doch dürfen – von Alters her – die sind eine aussterbende Spezies, entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg. Wegen der Wohnungsnot. Doch die kehrt zurück. Zugleich wächst die Zahl derer, die in der Stadt, aber nicht in Wohnsilos oder Doppelhaushälften leben wollen.

Und nicht nur Reiche leben gern im Grünen. In Bremen überlegen nun die regierenden Fraktionen von SPD und Grünen, ob man das Wohnen „auf Parzelle“ nicht doch wieder erlauben kann. Einigen zumindest. Und sie sehen ihren Vorstoß auch als „Vorbild“ für andere Städte.

Alles fing damit an, dass das grüne Bauressort jüngst, mitten im Winter, mithilfe der Polizei und eines Abrissbaggers das Parzellenhaus eines Mittsechzigers „zwangsgeräumt“ hat. Die Kosten: rund 12.000 Euro. Die Medien berichteten wiederholt über den Fall des „Ex-Szenewirts“ Harry Geiger, der schließlich in einer „Baracke ohne Heizung“ landete, wie die BILD schrieb.

Geiger – das war sein Fehler – hatte nicht nur im Kleingarten gewohnt, sondern auch seinen Erstwohnsitz dort angemeldet. Während sowas in manchen Orten Niedersachsens geduldet wird, ist Bremen da streng. Es ist verboten, also wurde das Haus, das als „Kaisenhaus“ mal legal bewohnt war, gleich ganz abgerissen. „Bereinigung“ nennt die Behörde das.

Angesichts der akuten Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Bremen das dauerhafte Wohnen "auf Parzelle" auf Weisung von Nachkriegs-Bürgermeister Wilhelm Kaisen (SPD) 1945 zunächst geduldet.

In der Folge entstanden viele Wohngebäude in den Kleingartenkolonien - die Kaisenhäuser. 1949 wurde der Kaisenerlass zwar wieder zurückgenommen, doch bis 1955 wurden die Behelfsheime offiziell zugelassen.

Heute leben in Bremen noch einige hundert Menschen als sogenannte Kaisenhauswohner offiziell und legal in Bremens Schrebergärten. Das sind jene, die mindestens schon seit 1974 dort wohnen. So hat es 2000 ein Runder Tisch beschlossen. Ziehen die AuswohnerInnen aus oder sterben sie, müssen ihre Häuser abgerissen werden. Die Behörden nennen das offiziell Bereinigung.

Rund 18.000 KleingartenbesitzerInnen hat Bremen heute, 1931 gab es noch rund 28.000 ParzellistInnen.

„Das ist skandalös“, sagt SPD-Sozialpolitiker Klaus Möhle – „moralisch wie sozialpolitisch“. Auch wenn es baurechtlich „in Ordnung“ war, so Möhle, der selbst lange Jahre in einem Öko-Dorf wohnte. Nun fordern SPD und Grüne im Parlament, den Abriss bewohnter Parzellenhäuser vorerst zu stoppen. Eine Petition verlangt, das Wohnen in Kaisenhäusern „grundsätzlich zu genehmigen“, und zwar „rückwirkend“, auch für jene, die illegal dort wohnten. Mehrere Hundert haben die Petition bis jetzt schon unterschrieben.

„Es gibt in Bremen ohne Ende Mangel an billigem Wohnraum“, sagt SPD-Politiker Möhle. Pro Jahr fallen momentan über 800 Sozialwohnungen weg, zwischen 2005 und 2010 sank ihre Zahl von 8.579 auf 4.586. Zuletzt gab‘s jedes Jahr 50.000 Euro für den Abriss von Kaisenhäusern, aber gar kein Geld für Wohnraumförderung.

Großzügig neu entstanden sind nur Quartiere, in denen das Wohnen besonders teuer ist. Nun sollen bis Ende kommenden Jahres 700 Wohnungen mit Mietpreisbindung neu entstehen oder saniert werden.

Auch die Grünen fordern, „angesichts des angespannten Wohnungsmarktes“, die zuletzt 2000 festgesetzten Regeln für den Erhalt und Abriss von Parzellenhäusern neu festzulegen. All jene, die jetzt in solchen Häusern wohnten, müssten „geschützt“ werden, so die Grünen-Politikerin Maike Schäfer. Ein Fall wie jener von Harry Geiger „darf nicht nochmal vorkommen“. Zugleich müsse neu geprüft werden, wo in Bremen besondere, preiswerte alternative Wohnformen mehr Platz finden könnten, so Schäfer.

Es müsse in Bremen möglich sein, dem „offensichtlichen Bedarf“ daran „Rechnung zu tragen“, heißt es dazu in dem SPD-Antrag. „Es geht um eine einzigartige Architektur und Lebenskultur“, sagt Möhle mit Blick auf die Kaisenhäuser, aber auch darum, alternative Lebensentwürfe zu fördern – für jene, die „Lust haben so zu leben“. Keinesfalls dürfe das auf Kosten sozialpolitischer Maßnahmen gehen, sagt die SPD.

Keinesfalls dürften neue Schwarzbauten oder Spekulationsobjekte entstehen, sagen die Grünen. Und keine „speziellen Wohnbereiche für Geringverdiener und Erwerbslose“. Ohnehin, sagt Möhle, gehe es „nicht nur um ein Armutsproblem“. Viele derer, die heute urban im Grünen wohnen wollen, hätten das Geld für eine klassische Mietswohnung. Sie wollten nur keine.

Den Linken geht die Initiative von Rot-Grün nicht weit genug: „Wie man mit alternativen Wohnformen umgeht, ist eine Frage des politischen Willens“, heißt es. „Da muss mehr kommen als eine Schonfrist und eine Auslaufregelung.“ Die Baubehörde des grünen Senators Joachim Lohse wiederum reagiert bislang zurückhaltend. Man wolle die Diskussion „weiterführen“, sagte eine Sprecherin.

Die „dauerhafte Wohnnutzung in Kleingartengebieten“ will die Behörde weiter verhindern, das machte sie jüngst im Parlament erneut klar. Auch will sie Leute wie Geiger nicht einfach dulden. Weil sonst ein „rechtsfreier Raum“ entstünde und „Funktion und der Charakter“ der Kleingärten als reine Naherholungsgebiete „gefährdet“ wäre.

Zwar gebe es einen Ausweg – man müsste die Gebiete entsprechend anders ausweisen. Das wiederum müsse aber „durch städtebauliche Gründe“ gerechtfertigt werden, so die Behörde.

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