Eine wahre Verschwörung

Regine Igels belegt in ihrem Buch „Terrorjahre“ akribisch, dass es im Italien der 1970er-Jahre staatlich organisierten Terrorismus gab, der von Polizei und Politik lange Zeit vertuscht wurde

Italien nahm im Westeuropa des Kalten Kriegs eine Sonderstellung ein. Wie in keinem anderen europäischen Land hatten linke Parteien hier eine starke Anhängerschaft, und allein die Kommunistische Partei konnte auf 30 Prozent der Wählerstimmen setzen. Zudem begannen die in den 50er- und frühen 60er-Jahren noch stark moskauhörigen Linksparteien sich zunehmend als „Eurokommunisten“ zu emanzipieren. Diese Bewegung entwickelte sich im Zuge der 68er Aufbruchsstimmung auf parlamentarischer Ebene zu einem erfolgreichen Gegenmodell des kapitalfreundlichen, bürgerlichen Blocks.

Sowohl gewissen Kreisen in Italien wie vor allem den geostrategischen Planern in den USA kam eine solche Entwicklung nicht gelegen, und da ihr mit politischen Mitteln kaum beizukommen war, beschloss man eine Reihe von verdeckten Operationen. „Um die Machtausübung zu bewahren, ist es notwendig, sich zu gewissen Zeiten des Terrors zu bedienen“, hatte Machiavelli schon im 16. Jahrhundert notiert. Mit der sozialen und kulturellen Revolte 1968 sahen seine modernen Schüler diese Zeiten fraglos gekommen und läuteten im Dezember 1969 mit der Bombe an der Mailänder Piazza Fontana (16 Tote, 88 Verwundete) ihre „Strategie der Spannung“ ein.

Der Tat wurden umgehend „linke Anarchisten“ verdächtigt, von denen in einer vorbereiteten Aktion Dutzende verhaftet wurden. Mit, wie sich später herausstellte, präparierten Zeugenaussagen wurde ein Täter bezichtigt, ein angeblicher Mittäter stürzte beim Verhör zufällig aus dem vierten Stock des Polizeireviers, Verurteilungen erfolgen aufgrund manipulierter Indizien und Beweise. Dies ist der Auftakt der „bleiernen Jahre“ in Italien, bei denen bis 1984 bei sieben weiteren Massakern 150 Menschen getötet und über 800 verletzt werden.

Erst in einer Reihe von Prozessen in den 90er-Jahren wurde aufgedeckt, wer die eigentlichen Hintermänner der Terroranschläge waren. Sie waren, so der Mailänder Untersuchungsrichter Salvini über die Bomber der Piazza Fontana, „sowohl amerikanische Agenten, die in den Militärbasen ein-und ausgingen, als auch Militante der rechts-terroristischen Organisation Ordine Nuovo“.

Regine Igel, die als Korrespondentin lange in Italien lebte, hat für ihr Buch „Terrorjahre. Die dunkle Seite der CIA in Italien“ die Hintergründe dieser Anschlagserie recherchiert und mit vielen der mutigen Staatsanwälte und Untersuchungsrichter gesprochen, die in jahrelanger Arbeit das immer gleiche Muster der Anschläge aufdeckten. Zuerst wird von Politik und Medien die Linke für schuldig erklärt, dann tauchen oft erst Jahre später überzeugende Spuren zu Rechtsterroristen auf, doch die Ermittler werden ihrer nicht habhaft, weil die Geheimdienste ihre schützende Hand ins Spiel bringen. Wichtige Zeugen werden ermordet oder erhalten „aus Gründen der nationalen Sicherheit“ keine Aussagegenehmigung – die Anklagen laufen ins Leere.

Doch auch wenn deshalb kaum einer der wirklich Verantwortlichen am Ende bestraft werden kann, war die Arbeit der Gerichte keineswegs nutzlos, denn sie hinterlässt der Nachwelt und den Historikern das bis in kleinste Details belegte Dokument einer Verschwörung, die von den Spitzen der Regierung und des Militärs über die Businesselite der P2-Loge bis zu gedungenen Mafiakillern reicht. Und die als Schattenregierung hinter der offiziellen Fassade eine gewalttätige Geheimpolitik betrieb, die neben Geldwäsche, Drogenhandel und anderen kriminellen Transaktionen vor allem jenen staatsgesponserten, inszenierten Terror in Gang setzte, der das Italien der 70er-Jahre erschütterte. Auch in Deutschland, wo der Verfassungsschutz 1978 ein Loch in die Mauer der JVA Celle sprengte, um die Angst vor der RAF und entsprechende Antiterrorgesetze zu forcieren, wurden solche Anschläge unter falscher Flagge verübt.

Obwohl sich dieses Buch liest wie ein Politthriller, ist es keiner, denn es basiert auf Justizakten. Obwohl es teilweise so haarsträubend klingt wie eine spekulative Verschwörungstheorie, dokumentiert es ausschließlich belegte Verschwörungsfakten – und scheint so gerade heutzutage von äußerster Wichtigkeit. Zumal die „Strategie der Spannung“, an der auch die geheime NATO-Armee „Gladio“ beteiligt war, nicht auf Italien beschränkt geblieben sein dürfte: „Was seinerzeit in Namen des Antikommunismus möglich war, kann auch in anderen Ländern passieren und lässt sich heute gegen neue Feindbilder einsetzen“, schreibt Regine Igel.

In der Tat fallen bei der Lektüre mehr als einmal frappierende Parallelen zum aktuellen und oft hysterisch propagierten „Krieg gegen den Terror“ auf. Insofern scheint es zur Beurteilung der heutigen Situation – und für die notwendige Unterscheidung zwischen „authentischem“ und „synthetischem“ Terror – dringend geboten, dieses historische Beispiel inszenierten Terrorismus zu studieren. MATHIAS BRÖCKERS

Regine Igel: „Terrorjahre. Die dunkle Seite der CIA in Italien“. Herbig Verlag, München 2006, 470 Seiten, 24,90 Euro