Das Leben umprogrammiert

Das herrschende Naturbild rechtfertigt die ökonomischen Machtverhältnisse, glaubt Jeremy Rifkin. So war es bei Darwin und ist es heute mit der Gentechnik. Das liest sich spannend und wäre nur zu loben, wenn Teile des Buchs nicht veraltet wären

Die Lektüre von Jeremy Rifkins „Das Biotechnische Zeitalter“ ist ambivalent. Zwar ist der zweite Teil erhellend, thesenstark und überaus lesenswert. Doch erste Teil ist vor allem ärgerlich – weil unaktuell.

Das Buch, das der Campus-Verlag auf dem Umschlag wie ein neues Werk präsentiert, wurde tatsächlich schon vor zehn Jahren publiziert. Kleingedruckt im Innern gesteht der Verlag, dass es sich um ein „wissenschaftshistorisches Dokument“ handelt. „Der Autor hat bewusst darauf verzichtet, den Text zu aktualisieren, da dies teils unnötig, teils unmöglich gewesen wäre.“

Diese Aussage ist eindeutig falsch und lässt den Autor als faul erscheinen. Denn wer will heute noch über 100.000 zu entschlüsselnde menschliche Gene lesen, wo längst feststeht, dass es maximal 25.000 sind? Auch über die Fälschungen des Veterinärmediziners Hwang Woo-suk in der Stammzellenforschung oder den frühen Tod des Klonschafs Dolly und die 276 nicht geglückten Versuche bei seiner Erzeugung erfährt der Leser nichts. Hält Rifkin nach solchen Erfahrungen den folgenden Satz wirklich noch für aktuell: Es ist „möglich geworden, in großen Mengen identische, vom Original nicht zu unterscheidende Kopien eines Säugetiers zu produzieren“?

Kurzum: Wer informiert sein will, was heute los ist im Bereich Gen- und Biotechnik, sollte sich andere Quellen suchen und beispielsweise das „Gen-Buch Lebensmittel“ von Max Annas und Gregor Bornes zur Hand nehmen. Das liefert zwar nur einen mageren theoretischen Backround, ist dafür aber in einem begrenzten Teil des Themas auf dem aktuellen Informationsstand.

Spannend wird Rifkins Werk ab Seite 173 – denn ab da geht es um Grundsätzliches. Er zeigt, dass die oft als zwangsläufig dargestellten naturwissenschaftlichen Entwicklungen auf politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Machtverhältnissen beruhen. Die Vorstellung, das menschliche Erbgut verbessern zu können, ist keineswegs eine Erfindung der Nazis. „Kriminelle sollten sterilisiert werden, und Schwachsinnigen sollte es verboten sein, Nachkommen zu hinterlassen […] Das Hauptgewicht sollte darauf liegen, wünschenswerte Personen zur Fortpflanzung zu veranlassen“, schrieb bereits Theodore Roosevelt. Der 26. Präsident der Vereinigten Staaten reagierte damit auf Armut und soziale Missstände vor der großen Depression in den 20er-Jahren. Mehr als Dreiviertel aller US-Hochschulen hatten damals „Eugenik“ offiziell im Lehrplan.

Heute gilt zwar eine rassistische Verbesserung des menschlichen Erbguts als tabu. Doch unter dem Label „Optimierung von Leistungsstandards und Verbesserung der Lebensqualität“ hat sich ein Gentec-Markt etabliert, der die politische Ideologie der Gegenwart widerspiegelt. So arbeiten Wissenschaftler nicht nur daran, „schlechte Gene“ als „Irrtum“ der Natur schon zum Zeitpunkt der Zeugung zu eliminieren. Viele Eltern verabreichen ihrem Nachwuchs auch gentechnische Medikamente zur Therapie von hormonell bedingtem Kleinwuchs – obwohl ihre Kinder gar keine Hormonstörungen haben. Doch weil große Menschen als durchsetzungsfähiger gelten, wollen sie ihren Söhnen und Töchtern einen zusätzlichen Wachstumsschub nicht vorenthalten.

Laut Rifkin setzt sich zunehmend eine „eugenische Soziologie“ durch. Galten Umwelteinflüsse jahrzehntelang als entscheidende Faktoren für das Verhalten und die Entwicklung von Menschen, so glauben immer mehr Forscher, Gene für Neugier, Konzentrationsschwäche, Kriminalität oder Alkoholismus zu entdecken. „Sobald Gewaltverbrechen als Gesundheitsproblem verstanden werden, wird sich die öffentliche Diskussion von der Suche nach Faktoren wie mangelnde Bildungschancen, Arbeitslosigkeit und Armut … auf genetische Fehler verlagern, die sich kontrollieren oder ausmerzen lassen.“ Zugleich könnte auf der anderen Seite eine genetische Aristokratie entstehen, die sich für gutes Geld mit optimierten Genen ausstatten lässt. Inwieweit solche technischen Allmachtsvorstellungen einiger Wissenschaftler realistisch sind, thematisiert Rifkin kaum. Ihn interessieren die dahinterstehenden Denkmuster.

Eine zentrale These des Buchs ist, dass das herrschende Naturbild die jeweiligen ökonomischen Machtverhältnisse rechtfertigt. Als Charles Darwins das Überleben der Stärksten und Fähigsten zum Prinzip der Evolution erklärte, passte das zum Selbstbild der englischen Oberschicht beim Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft. Inzwischen hat das Zusammentreffen von elektronischer Kommunikation und Biowissenschaften eine technologische und kommerzielle Revolution ausgelöst, so Rifkin. „Die Geschichte der Schöpfung wird neu erzählt. Dieses Mal wird die Natur nach dem Bilde der Computer … dargestellt.“

Nicht nur erscheint die DNA wie ein Programmcode. Die Vorstellung eines identifizierbaren und unantastbaren Organismus weicht der Vorstellung, dass alle Lebenseinheiten vernetzte Teile eines Informationssystems sind. Die Menschen als „beste Informationsverarbeiter im Reich der Biologie“ treiben nun den Evolutionsprozess vorwärts, indem sie die Natur an gewünschten Stellen umprogrammieren. Und beim Klonen wird der Code eines Wesens kopiert und damit archiviert – aus der Perspektive elektronischer Kommunikationssysteme ein rationaler Akt.

Jeremy Rifkin lehnt in seinem Buch die Gentechnik nicht per se ab. Doch er fordert ein Diskussion über ihre Anwendung. Denn genau wie die Atomkraft in den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts als fantastische Chance dargestellt wurde, so gilt die Gentechnik heute oft als Lösung vielfältigster Menschheitsprobleme. Vom Hunger bis zur Wohlstandsverfettung, vom Giftmüll bis zum Krebs – all das kann man angeblich mit Gentechnik und üppig finanzierten Forschungsprogrammen in den Griff bekommen. Doch so wie die Atomkraft die physikalische Welt grundlegend verändert hat, besitzt die Gentechnik ein mindestens so großes Potenzial auf biologischer Ebene – mit unabsehbaren Risiken. Wie viele ihrer Versprechen sie einlösen kann, ist dagegen völlig unklar.

ANNETTE JENSEN

Jeremy Rifkin: „Das Biotechnische Zeitalter. Die Geschäfte mit der Gentechnik“. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2007. Max Annas und Gregor Bornes: „Das GenBuch Lebensmittel“. Orange Press, Berlin 2007.