Immer wieder Weimar?

DEMOKRATIE Die Bonner Republik war ein Resultat des Selbstzweifels und gerade damit eine „geglückte Demokratie“. Das behauptet Albrecht von Lucke und schlägt Alarm: „Wir haben die Republik verloren“

Erinnern Sie sich noch an den Verfassungspatriotismus? Diesen Stolz auf den nüchternen demokratischen Pathos des Grundgesetzes und auf die bürgerliche Gelassenheit der Bonner Republik, der irgendwann in linksliberalen Kreisen Mitte der 80er-Jahre um sich griff? Lange nichts von ihm gehört. Schließlich ist Deutschland „normal“ geworden. Klar, das Grundgesetz gibt es weiter. Als etwas, das das Institutionengefüge und die demokratischen Verfahren regelt. Und das man schon mal aufweicht, wenn es stört beim Asylantenabweisen und Terroristenbekämpfen.

Albrecht von Lucke, Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik, ist da freilich nicht zum Lachen zumute. In seiner kleinen Streitschrift „Die gefährdete Republik“ zeichnet er den Weg „von Bonn nach Berlin“. Die Bonner Republik war von einem mehrfachen „Nie wieder“ geprägt. Nie wieder Faschismus. Nie wieder Weimar. Das erste „Nie wieder“ war die Selbstbegründung als Negation des Totalitarismus. Im zweiten „Nie wieder“ steckte die Sorge um das mögliche, abermalige Scheitern. Die Zivilität der Bonner Republik war, so sieht das von Lucke, ein Resultat des Selbstzweifels und nicht des Selbstbewusstseins einer wiedergefundenen Normalität. Diese stetigen Zweifel nährten einen Prozess der Demokratisierung, an dessen Ende eine „geglückte Demokratie“ stand.

Das ist jetzt vorbei und das Resultat, so der Autor: „Wir haben die Republik verloren“. Das ist natürlich etwas alarmistisch und so ist auch von Luckes Buch sehr dichotomisch angelegt: Dort das demokratische Paradies Bonn, und hier das neue, von Berlin aus regierte Deutschland, das er extrem gefährdet sieht. Da die Bonner Republik, in der große Intellektuelle wie Walter Dirks und Karl Jaspers vor der „Restauration“ warnten, obwohl alles doch ganz gut lief, hier das neue Deutschland, in dem die Unterklassen keine Chance mehr haben, die Oberklassen sich aus der gesellschaftlichen Solidarität verabschieden, in dem Feinderklärungen an der Tagesordnung sind (an Ausländer, an Muslime), in dem die demokratischen Bindekräfte erlahmen, in dem laut darüber nachgedacht wird, ob Folter nicht doch im Notfall legitim ist und in dem niemand mehr warnt.

All das ist nicht ganz falsch, und doch etwas sehr mit der Axt gehauen. Die Bonner Republik war eben auch eine Republik, in der Kommunisten, nur weil sie Kommunisten waren, ins Zuchthaus gesteckt wurden – und zwar von Richtern, die schon zu Führers Zeiten gut im Geschäft waren. In der es eine mutige Presse gab – aber wo der Verteidigungsminister schon mal veranlasste, die Chefs in Haft zu nehmen. Nicht alles, was nachträglich glänzt, war nur Gold. Freilich, ein Essay, der aufrütteln will, kommt ohne solche literarischen Dramatisierungen nicht aus.

Albrecht von Lucke zeigt, dass die Bundesrepublik ein paar Jahrzehnte auf einem verdammt guten Weg war, eben weil sie stetig an sich zweifelte, eben weil aus Sorge, Weimar könnte sich wiederholen, ein sozialstaatlicher Konsens herrschte. Klar war die Bonner Bundesrepublik auch eng und kleingeistig. In Berlin weht ein anderer Wind, aber der macht die Luft nicht unbedingt besser. Es läuft manches schief. Mag sein, dass Deutschland eine „gefährdete Republik“ ist. Aber ist sie gefährdeter als andere? ROBERT MISIK

■ Albrecht von Lucke: „Die gefährdete Republik. Von Bonn nach Berlin“. Wagenbach Verlag , Berlin 2009. 106 Seiten, 9,90 Euro