Entern, kentern, wer weiß das schon

PARTEIEN Wer sind die eigentlich, die Piraten, fragen sich immer noch viele. Ein paar Annäherungen von Kathrin Passig über Hans Ulrich Gumbrecht bis Nina Pauer gibt es in dem Buch „Die Piratenpartei“

Es ist knallorange mit dem schwarzen Logo der Piratenpartei – einem windgefüllten Segel in einem Kreis – auf dem Buchdeckel. Der Sammelband „Die Piratenpartei“, herausgegeben von Friederike Schilbach, macht seinem potenziellen Leser schon von außen klar: Distanz zum Thema? Brauchen wir nicht. Hier dürfen die Piraten aus allen Perspektiven gelobt werden. Oder so kritisiert, dass am Ende doch wieder ein Lob bei rauskommt.

Als die Piratenpartei bei der Landtagswahl in Berlin am 18. September alle Umfrageergebnisse übertraf und mit 8,9 Prozent der Wählerstimmen ins Abgeordnetenhaus und damit erstmals in ein Landesparlament einzog, waren offenbar auch die Verlage überrascht. Daher haben die Bücher, die bald nach der Wahl erschienen, etwas gemeinsam: Sie sind Bände, die sich großteils aus bereits erschienenen Interviews und Reportagen zusammensetzen, viel Recycling also.

Der von Friederike Schilbach herausgegebene Band begreift die Piratenpartei und ihren Aufstieg als Phänomen, das es zu erklären gilt. Auf dem Weg, sich diesem zu nähern, dürfen am Anfang erst einmal Piraten selbst zu Wort kommen. Julia Schramm etwa, die berichtet, wie sie zu den Piraten kam und warum andere Parteien wahlweise spießig, nationalistisch oder sowieso keine Alternative seien. Oder der Fraktionsvorsitzende Andreas Baum, der sich den 99 Fragen von Moritz von Uslar stellt, die ziemlich harmlos daherkommen: „Finden Sie sich eigentlich sehr gut aussehend?“ Baum: „Ist schon okay.“ Und dann, man ist schon auf der Metaebene, Frank Schirrmacher, der Jahrzehnte nach allen anderen „die“ Nerds entdeckt und Sätze formuliert wie: „Der Nerd ist ein Wunder der Technik.“

Leider bleiben die meisten Beiträge auf dem Stand der Phänomensbeobachtung stehen. Etwa wenn es um Liquid Feedback geht, das Programm, mit dem die Piraten basisdemokratisch Entscheidungen finden wollen. Oder wenn in einer kurzen Reportage von den zahlreichen, Verschwörungstheorien verbreitenden Anrufen erzählt wird, die die Partei täglich in der Parteizentrale in Berlin-Mitte erreichen. Ja, das ist skurril. Und nun? Das Problem: Der Blick geht nach hinten, die Perspektive fehlt. Dabei gäbe es genug Ansatzpunkte, um die Piraten auch kritisch zu beleuchten oder die laufende Debatte nach vorne zu bringen. Die in regelmäßigen Abständen aufkommende Frauenfrage natürlich, schwarze Löcher im Wahlprogramm, der zeitweise schwierige Umgang mit dem Transparenzversprechen, die innerparteiliche Debatte über Datenschutz, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Ein Lichtblick ist daher das Essay von Teresa Bücker, die im SPD-Parteivorstand zu Social Media arbeitet: Eine klare Analyse der genderpolitischen Situation der Piraten, die Erkenntnis, dass hier die Praxis mit der Theorie des Parteiprogramms kollidiert, und durchaus kritische Schlussfolgerungen, wie das ganz ohne Quote, aber mit Öffentlichkeit zu ändern ist und was das für die Gesellschaft bedeuten könnte. Geschlechterrollen überwinden. Hierarchien abbauen. Wertschätzung etablieren.

Seine Stärke hat der Band als zeitgeschichtliches Dokument. Man wird ihn in 20, 30 Jahren zur Hand nehmen können und sich – je nach Fortgang der Geschichte – entweder darüber wundern, was damals an den Piraten so ungewöhnlich war, oder wehmütig daran erinnern, dass es doch einmal diese Partei gab, die genauso hieß wie die Seeräuber.SVENJA BERGT

Friederike Schilbach: „Die Piratenpartei. Alles klar zum Entern?“. Bloomsbury, Berlin 2011, 224 Seiten, 7,95 Euro