Bonifatius – ein Europäer

Aus Anlass der Bonifatius-Premiere hat der Sprecher der Katholischen Kirche in Bremen, taz-Autor Wilhelm Tacke, einen Überblick in Wirken und Bedeutung des Missionars zusammengetragen. Wir dokumentieren hier Auszüge

von Wilhelm Tacke

Die ollen Germanen hatten sich mit jener berühmten Schlacht 9 nach Christus von Fortschritt und Zivilisation abgekapselt – für rund 500 Jahre, im Falle Bremens gar für über 700. Wie groß das Gefälle damals war, lässt sich am Beispiel Köln verdeutlichen: Das war damals eine Stadt mit rund 40.000 Einwohnern, einer bedeutenden Glasindustrie, einem 120 km langen Aquädukt von der Eifel bis zum Rhein. Die nach Osten gewandte Rheinuferseite mit ihren mehrgeschossigen Häusern mit Toiletten nebst fließendem Wasser und gepflasterten Straßen muss wie eine Imponierfront gegen die rechtsrheinischen tumben Germanen gewirkt haben. Die hausten damals in Erdhütten oder Flechtwerkhäusern, stapften durch den Morast und entleerten sich in den Ackerfurchen.

Nördlich und östlich des Rheins aber gab es nicht nur kaum ein Steinhaus, es fand sich erst recht kein Buch. Hier lebte die orale Gesellschaft, verpflichtet den sagenhaften Traditionen und den kriegerischen Göttern. Das Christentum verkünden, hieß hier für Bonifatius und seine Mitstreiter, eine aus Tradition geheiligte Lebenswelt zu zerstören und eine neuartige aufzubauen, sowohl zivilisatorisch, kulturell wie religiös. Kurzum: Mit Bonifatius und Konsorten kommt im 7. Jahrhundert nicht nur ein neuer Glaube, sondern auch Kultur und Zivilisation nach Germanien.

Dem Missionar war klar, dass er die Frohe Botschaft nicht mit vorgestanzten lateinischen Formeln in hessische, thüringische, friesische oder gar sächsische Köpfe hineinbekommen wird. Daher übersetzt er sie und sucht für die christlichen Inhalte sprachschöpferische Entsprechungen. Kurzum: Er bemüht sich um eine volkstümliche, verständliche Sprache. Doch Mission nur durch Predigt, das ist nicht das Ding von Bonifatius. Bloße Worte reichen bei den sturen Hessen beispielsweise nicht aus, ihnen muss handgreiflich vorgeführt werden, welche Nichtse ihre Götter sind. Und das gelingt ihm bei seiner bekanntesten PR-Aktion: dem Fällen der Donareiche bei Fritzlar.

Bonifatius` unbestreitbares Verdienst ist die Reform der Kirche. In den Bestimmungen des Concilium Germanicum richtet er die Kirche in Germanien konsequent nach Rom aus und legt so organisatorisch den Grund für die fränkische Landeskirche. In den Städten werden Bischöfe eingesetzt und über ihnen steht als Erzbischof Bonifatius. Unwürdige Priester und Bischöfe versucht er aus dem Dienst zu entfernen. Bonifatius wandelt mithin die recht zersplitterte fränkische Kirche in eine romverbundene Landeskirche um. Er führt in seinem Missionsgebiet die römische Art der Firmspendung wie das römische Messbuch ein. Die sich dadurch vereinheitlichende Liturgie wirkt verbindend. Sie schafft den Einheitsraum Europa mit, der zunächst nur ein geographischer, völkischer, sprachlicher und religiöser Flickenteppich ist. Der englische Historiker Robert Barlett behauptet gar: „Erst im Papsttum hat die lateinische Christenheit in Europa ihre Identität gewonnen. Durch eine strenge Einheitlichkeit in Ritus, Kirchenorganisation und Kirchenrecht“.

Die Auswirkungen der karolingisch-römischen Kirchenverfassung mit Bischofsstadt und Pfarreien, mit Kirchen in jedem Dorf ist bis heute in jedem Ortsbild erkennbar. Wo immer man sich in Europa bewegt, trifft man auf ein identisches Weichbild: Die Ansiedlung mit der Kirche und dem umgebenden Friedhof, der anschließende Markt, von dort ausgehend die Straßen und Häuser. Wir empfinden das als unser gewohntes Ortsbild. Eben solche Identitätsstiftung hat östlich des Rheins mit Bonifatius und über seine Nachfolger wie Willehad in Bremen auch hier bei uns begonnen.

In Bonifatius haben wir auch einen Förderer der Frauen vor uns. Nicht wenige Frauenbriefe gibt es in seiner Korrespondenz. Er fördert die Mitarbeit von Frauen in der Germanenmission. Allerdings rät er reumütigen Nonnen von einer Wallfahrt nach Rom wegen der physischen und sittlichen Gefahren ab. Ein Vorbild ist er an Friedfertigkeit. Als er am 5. Juni 754 in Dokkum von Räubern überfallen wird, verzichtet er evangeliumsgemäß auf jegliche Gegenwehr und fordert seine Begleiter zum Gewaltverzicht auf, was den Ganoven das Gemetzel erleichtert.

Schauen wir auf die grundsätzlichen Veränderungen, die Bonifatius und seine Gefährten in unseren Breiten erreichen:

Erstens: Genetisch ist im Menschen nur die Fürsorge für die eigene Familie, den eigenen Stamm und, wenn’s hoch kommt, für das eigene Volk verankert. Die Einsicht, dass jeder Mensch Mensch ist, muss er sich erst abtrotzen. Dem Christentum ist die Fremdenfeindlichkeit fremd. Das untermauert besonders die Geschichte von der Abstammung aller Menschen von einem Menschenpaar. Die Abstammung aller von Adam und Eva macht deutlich, dass alle Menschen vor Gott Brüder und Schwestern sind und keiner das Recht hat, sich über den anderen zu erheben.

Eine zweite Ebene, auf der Bonifatius mit der Predigt des Christentums erzieherisch wirkt, ist das Kapitel der Gewaltbereitschaft. Mit der Beschränkung der Vergeltung auf „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ wird bereits im Alten Testament der erste Schritt in Richtung Humanum getan. Zuvor ist der Gegenschlag maßlos. Durch den Aufbau der Staatsgewalt auf der Basis der Zehn Gebote wird eine außerordentliche Humanisierung des Menschen ermöglicht.

Ein dritter Bereich, auf dem das Christentum den Menschen humanisiert, ist der Kinderschutz. Zuvor entschied ausschließlich der Vater oder die Mutter, ob das Kind leben darf oder nicht. Kindesaussetzung und Kindesmissbrauch sind bei Römern wie Germanen normal. Kinderschutz gehört mithin nicht zum „Urhumanum“. Er muss „andiszipliniert“ werden. Das hat das Christentum in unseren Landen – beginnend mit Bonifatius – weitgehend geschafft.

Viertens: Auch bei der Abschaffung der Sklaverei machten sich die Kirchenleute jener Zeit verdient. Laut Bonifatius lebten die Mönche im von ihm gegründeten Kloster Fulda ohne Sklaven und begnügten sich mit dem Ertrag eigener Arbeit.

Fünftens: Den alten Philosophien der Griechen und Römer fehlt die vorbehaltlose Selbsthingabe und die Germanen kennen sie ebenso wenig. So kennt die Antike weder eine Armen- noch eine Krankenfürsorge. Lediglich der kranken Soldaten nimmt man sich an. Man braucht sie wieder als Kanonenfutter. Auch der Einsatz für die Armen ist nicht angeboren. Zu ihm muss sich der Mensch erst aufraffen. Bonifatius und seine Männer und Frauen haben begonnen, die Gesellschaft für die Armen zu sensibilisieren: Altenheime und Krankenhäuser gibt es erst im Christentum. Als letztes sei das Gewissen erwähnt. Der Mensch der Saga hat noch keine Skrupel gekannt. Er kennt höchstens die Scham. Unbestreitbar ist, dass Bonifatius und die frühen Missionare stark auf das Gewissen, beziehungsweise die Gewissensbildung, eingewirkt haben. All das sind die Werte, die – noch – zum Fundament Europas gehören.

Die ungekürzte Fassung findet sich unter www.mehr-dazu.de