Missbilligung missbilligt

In einer mitunter hitzigen Debatte über die Sozialsenatorin warfen sich SPD und CDU „organisierte Verantwortungslosigkeit vor“. Und Rot-grün stärkte Ingelore Rosenkötter demonstrativ den Rücken

von Jan Zier

Demonstrativ innig war die Begrüßung, betont herzlich die Umarmung, die Ingelore Rosenkötter gestern morgen von SPD-Fraktionschef Carsten Sieling und Bürgermeister Jens Böhrnsen zuteil wurde. Schwer waren da ihre Schritte im Plenarsaal, auf dem Weg zur Senatorenbank, die – so wollten es CDU und FDP – an diesem Tage zu ihrer Anklagebank werden sollte. Gemeinsam hatten sie einen Missbilligungsantrag gegen die SPD-Sozialsenatorin eingebracht, fast auf den Tag genau zwei Jahre nachdem das Kind Kevin tot aufgefunden wurde. Die Ablehnung freilich fiel ebenso erwartet wie eindeutig aus. Und der dazu gehörige Beifall – lang und laut.

„Wenige“ der Empfehlungen des Untersuchungsausschusses „Kindeswohl“ habe Rosenkötter bislang umgesetzt, hielt ihr die stellvertretende CDU-Fraktionschefin Rita Mohr-Lüllmann vor – „fast gar keine“. Nach wie vor also beherrschten „eklatante strukturelle Mängel“ das Sozialressort, Reformen würden allenfalls „angekündigt“, „eingeleitet“ oder „geprüft“. „Das ist zu wenig“, ja, die „organisierte Verantwortungslosigkeit“, ruft Mohr-Lüllmann. Die elektronische Fallakte etwa, seit Jahren in der Diskussion, soll erst Mitte kommenden Jahres voll funktionsfähig sein. 20 von Rosenkötter zugesagte neue Stellen „sind noch nicht einmal ausgeschrieben“, geschweige denn vom Haushaltsgesetzgeber abgesegnet. Über die Wirksamkeit der – nicht verpflichtenden – Nachschulung von FallmanagerInnen könne der Senat auch noch nichts sagen. Und Sachstandsberichte aus den Ressorts seien meist „vage“, dafür voller „elastischer Formulierungen“, findet Mohr-Lüllmann. „Die Grenze des Zumutbaren ist erreicht“.

SPD und Grüne warfen der CDU daraufhin „Effekthascherei“ vor, Rosenkötter selbst sprach von „destruktiver Nörgelei“. Klaus Möhle von den Grünen nannte die Anschuldigungen gar „infam“, während SPD-Kollegin Karin Garling „bis auf kleine Abweichungen“ alle Ausschussempfehlungen „komplett umgesetzt“ sieht, bis hin zur „zügigen“ Einführung der elektronischen Fallakte. Die „ständige“ Erreichbarkeit des Jugendamtes wurde sodann angeführt, das Vier-Augen-Prinzip bei Kriseneinsätzen, die unangemeldeten Hausbesuche am Tag eines Hilferufs. Und doch waren sich über die Fraktionsgrenzen alle einig, dass immer noch zu wenig passiert, irgendwie.

Unterstützung erfuhren die beiden Regierungsfraktionen von der Linken – sie enthielt sich am Ende bei der namentlichen Abstimmung über den Oppositionsantrag. „Scheinheilig“ sei die Debatte um Rosenkötter, kritisierte Sirvan Çakiçi, „denn mit diesem Antrag ist keinem Kind in Gröpelingen geholfen“. Der CDU hielt sie „Amnesie“ vor. Immer wieder erhielt Çakiçi Beifall von SPD und Grünen – selbst als sie der Regierung vorhielt, im Sozialressort „lange Zeit alles nur als Kostenfaktor gesehen zu haben“. Dabei war die Kritik der Linken nicht minder heftig, wenn auch weniger emotional vorgetragen als bei der CDU. Von „unverantwortlichen“ Personaleinsparungen war da die Rede, von nicht behobenen „Mängeln“ in den Fallakten, von Weiterbildungsmitteln, deren Höhe „nur als ganz schlechter Witz“ zu begreifen sei.

Am Ende mochten sich nur Siegfried Tittmann (ex-DVU) und Wutbürger Jan Timke dem Antrag von CDU und FDP anschließen. Und über das Gesicht von Ingelore Rosenkötter huschte zum ersten Mal an diesem Tag ein Lächeln.