„Man würde von Folter sprechen“

Die Uni will heute bei Gericht Klage für die Genehmigung der Makaken-Versuche einreichen. Der Senat hält sie für ethisch nicht mehr vertretbar. Warum, das steht in einem vertraulichen Gutachten

Von Klaus Wolschner

Noch in dieser Woche will die Universität Bremen vor Gericht gehen im Streit um die Makaken-Experimente. Die Gesundheitsbehörde hatte am 19. 6. 2008 dem Hirnforscher Andreas Kreiter mitgeteilt, dass sein Antrag auf Fortsetzung der Versuche nach dem November 2008 nicht genehmigt werde. Ihre Begründung der Klage will die Universität nicht öffentlich machen. Die Behörde hatte auch ihre Ablehnung nicht weiter öffentlich erläutert, eine gutachterliche Stellungnahme des Berliner Tierschutz-Ethikers Jörg Luy wird streng unter Verschluss gehalten.

Die öffentliche Enthaltsamkeit ist um so verwunderlicher, als „die sich wandelnde Wertehierarchie der Allgemeinheit“ eine große Rolle bei der Bewertung der ethischen Vertretbarkeit spielt, so schreibt zum Beispiel Luy in seinem Gutachten. In seinem Genehmigungsantrag, so Luy, lasse Kreiter „den ethischen Wertewandel der Gesellschaft außer Acht, dessen Ausmaß daran abgelesen werden kann, dass zwischen den Jahren 1992 und 2002 elf Bundesländer den Tierschutz in ihre Landesverfassung aufgenommen haben, bevor 2002 auch das Grundgesetz entsprechend geändert wurde“.

Die Argumentation des Gehirnforschers ist dagegen grundsätzlich: „Es besteht eine klare ethische und moralische Verpflichtung, neurobiologische Grundlagenforschung zu betreiben“, so schreibt Kreiter in seinem Antrag. Diese pauschale Begründung greift Luy an mit dem Hinweis, dass damit jegliche Grundlagenforschung von einer ethischen Bewertung freigestellt würde. Kreiter müsse die Abwägung schon für seine konkreten Forschungsziele vornehmen. In der behördlichen Ablehnung heißt es: Kreiter „hat sich weder mit den ethischen Gesichtspunkten des Versuchsvorhabens überzeugend auseinander gesetzt noch die Belastungssituation der Versuchstiere plausibel dargestellt“. Wenn die Tiere in hunderten von Experimenten in dem Primatenstuhl „fixiert“ werden, sie den Kopf nicht bewegen können und ihnen zudem vor dem Experiment über Stunden die Flüssigkeitsaufnahme verweigert wird, dann stelle das eine „Belastungskumulation“ dar, stellt die Behörde fest. Die kombinierte Belastung sei nicht als gering einzustufen, wie Kreiter das tue, sondern als „erheblich“, und zwar „so hoch, dass solche Tierversuche nicht zu rechtfertigen sind“.

Luy hatte seine Bewertung des „heblichen Leidens“, das den Tieren über Jahre zugefügt wird, mit dem Satz illustriert: „Würde eine solche Behandlung bei Untersuchungshäftlingen oder Kriegsgefangenen berichtet, würde man von Folter sprechen.“

Dass Kreiter seine Experimente damit rechtfertigt, dass es in der Landwirtschaft betäubungslose Kastrationen oder Enthornungen bei Rindern gebe, lässt Luy nicht gelten: Seit Jahren sei esunter Tierethikern Konsens, dass solche Methoden „ethisch nicht zu rechtfertigen“ seien.

Bei seiner ethischen Bewertung stützt die Gesundheitsbehörde sich auch auf den einstimmigen Beschluss der Bürgerschaft und die große Zahl von Unterschriften, die der Tierschutz-Bund gesammelt hat. Die Kommentatoren des Tierschutzgesetzes gehen nämlich davon aus, schreibt Gutachter Luy, dass die „Sicht der Allgemeinheit“, genauer: deren „mehrheitliche Wert- und Gerechtigkeitsvorstellung“ beziehungsweise der „Standpunkt des gebildeten und für den Gedanken des Tierschutzes aufgeschlossenen und einem ethischen Fortschritt zugänglichen Deutschen“ und damit die „gegenwärtigen Wertevorstellungen von der Mensch-Tier-Beziehung“ der Bewertung zugrunde zu legen seien.