„Umfassender Kinderschutz“

LEICHENGESETZ Große Mehrheit: Bürgerschaft beschließt eine bis 2013 befristete Obduktionspflicht bei ungeklärtem Tod von Kindern unter sechs Jahren

„Es geht auch darum, Geschwisterkinder schützen zu können“

Bremen hat als erstes Bundesland in Deutschland eine verdachtsunabhängige Obduktionspflicht bei einem ungeklärten Tod von Kindern unter sechs Jahren eingeführt. Auf diese Weise sollen Misshandlungen aufgedeckt werden. Die Bürgerschaft stimmte gestern einer entsprechenden Änderung des Leichengesetzes, die zunächst befristet bis 2013 gilt, mit großer Mehrheit zu. Kritiker hatten bei einer öffentlichen Anhörung ethische Bedenken gegen die Obduktionspflicht vorgebracht. Eine solche Pflicht belaste die betroffenen Eltern unverhältnismäßig, hieß es.

„Die vorgeschlagene Regelung ist für uns ein weiterer Baustein für einen umfassenden Kinderschutz“, betonte Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD). Misshandlungen und gewaltsame Einwirkungen seien bei kleinen Kindern oft nicht äußerlich sichtbar. Das gelte beispielsweise bei einem Schütteltrauma oder wenn das Kind erstickt worden sei. „Wenn ein Kind gewaltsam zu Tode gekommen ist, dann muss das auch erkannt werden, um beispielsweise Geschwisterkinder schützen zu können.“

Wenn die Eltern der Obduktion widersprechen, soll künftig ein Amtsrichter das letzte Wort haben und innerhalb von 24 Stunden über das weitere Vorgehen entscheiden. Er soll vor allem prüfen, ob die Todesursache zweifelsfrei geklärt ist. Das Gesetz wird durch eine Richtlinie ergänzt. Sie soll Einzelheiten zum Umgang mit einer Kinderleiche bei einer Obduktion regeln. Ärzte, Eltern und Seelsorger sollen beteiligt werden, um die Richtlinie zu formulieren. In den zurückliegenden Monaten hatte unter anderen der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel die Gesetzesinitiative verteidigt. Sie bringe auch den Eltern Klarheit. Die Medizin könne überdies neue Erkenntnisse etwa über angeborene Herzfehler gewinnen.

Bis 2013 soll geprüft werden, wie sich die Obduktionspflicht auswirkt. Dann muss im Parlament über eine Fortsetzung entschieden werden.

Die verdachtsunabhängige Obduktion wurde in Bremen auch auf Grundlage der Erfahrungen im Fall des kleinen Kevin eingeführt, der bundesweit sehr große Aufmerksamkeit erregte. Im Oktober 2006 war der Zweijährige tot im Kühlschrank seines Ziehvaters aufgefunden worden. Der drogenabhängige Mann hatte den Jungen zu Tode geprügelt. Das Landgericht in Bremen verurteilte ihn dafür 2008 zu zehn Jahren Haft wegen Körperverletzung mit Todesfolge sowie Misshandlung Schutzbefohlener. epd