Wie das neue Wahlrecht wirkte

MEHR DEMOKRATIE Fast die Hälfte der Stimmen wurden in Hamburg direkt vergeben – ohne das neue Wahlrecht hätte die SPD nicht die absolute Mehrheit

Die WählerInnen der Grünen haben Frauen nach vorn gewählt.

Der Leiter des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, hat sich mit seinen Bemerkungen zur bevorstehenden Bremer Wahl selbst diskreditiert, das findet der Fraktionschef der Bremer Grünen, Matthias Güldner. Güllner hatte in einem Weser Kurier-Interview das neue Wahlrecht als „hirnrissig“ bezeichnet und behauptet, eine „kleine Minderheit von Weltverbesserern“ sei am Werk gewesen.

De facto war das neue Wahlrecht von der großen Koalition nach einem erfolgreichen Volksbegehren beschlossen worden. „Es ist das einzige Gesetz seit Kriegsende in Bremen“, sagt der Grünen-Politiker Güldner, „das von Bürgern geschrieben und durch ein Volksbegehren durchgesetzt wurde.“ Die Bewertung durch den Forsa-Chef „überschreitet zudem die Kompetenz eines Meinungsforschers.“ Seine Auffassung sei „nicht durch Fakten, die er erhoben hat, gedeckt.“ Die Wahl in Hamburg ist für den Grünen ein „Anlass, weiter für dieses Wahlrecht zu werben“. Immerhin haben rund die Hälfte der WählerInnen in Hamburg die Möglichkeit genutzt, mit ihren fünf Stimmen unterschiedliche KandidatInnen zu unterstützen. 16 Prozent der Wähler haben ihre Stimmen sogar an KandidatInnen verschiedener Parteien gegeben.

Den Wahlzielen der Grünen hat das demokratischere Wahlrecht dabei eher geschadet: Die WählerInnen von keiner anderen Partei haben so ausgiebig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine Stimme außerhalb der „Stamm“-Partei zu vergeben. Bei der SPD hat Spitzenkandidat Olaf Scholz 633.000 von 872.000 Personen-Stimmen bekommen, das zweitbeste Ergebnis von SPD-KandidatInnen liegt bei 22.000. Vermutlich hätte die SPD nicht die absolute Mehrheit gewonnen, wenn nicht enttäuschte CDU-WählerInnen die Möglichkeit gehabt hätten, eine ihrer fünf Stimmen an Scholz zu geben. Die WählerInnen der Grünen haben Frauen nach vorn gewählt. Der parteilose Schulreform-Walter Scheuerl bekam auf der CDU-Liste das zweitbeste Ergebnis, fast doppelt so viele Stimmen wie der Fraktionsvorsitzende Frank Schira (Listenplatz 2).

Nach den Hamburger Erfahrungen kann man davon ausgehen, dass fast die Hälfte der Bremer Bürgerschaftsabgeordneten am 22.5. ihren Sitz durch direkte Persönlichkeitsstimmen trotz schlechter Platzierung auf der Parteienliste erhalten. kawe