Die Mühen der Mikro-Ebene

ANTI-FOLK Was ist geblieben vom vorletzten Folk-Revival? Heute Abend spielen Jeffrey Lewis & The Junkyard in der Spedition. Wir erinnern uns an eine Bewegung

Die U-Bahn, Williamsburg, das Chelsea Hotel, folgenlose Begegnungen, die dennoch oder grade drum Anlass für nachhaltige Befindlichkeiten sind

von Andreas Schnell

Im Grunde ging es der Anti-Folk-Szene dann ja doch wie vielen anderen Szenen, die mit den besten Absichten loszogen, um die Welt wenigstens ein kleines bisschen zu verändern.

Irgendwann entdeckte ein größeres Publikum den einen Song jenes einen Künstlers, der schließlich zum Hit wurde. In unserem Fall war das „Emily“ von Adam Green, das die männliche Hälfte der Moldy Peaches nicht nur in die Charts, sondern auch zu Harald Schmidt und Stefan Raabs „TV Total“ brachte. Und zu Suhrkamp, wo 2005 Greens Gedichtband „Magazine“ veröffentlicht wurde. Ganz so einfach ist es mit dem Anti-Folk nämlich doch nicht.

Greens kommerzieller Erfolg ist eher ein europäisches Phänomen, in Teilen geradezu ein Missverständnis und hat obendrein mit Anti-Folk eigentlich fast nichts zu tun. Auch musikalisch nicht, wobei gar nicht so leicht zu beschreiben ist, was Anti-Folk eigentlich ist. Es handelt sich dabei jedenfalls nicht einfach um die Negation des Folk-Gedankens. Und vielleicht erklärt man den Begriff am besten anhand seiner Entstehung.

Der Legende nach geht er auf den New Yorker Musiker Lach zurück. Mit klassischer Klavierausbildung und einer frühen Liebe zum Punk entdeckte er eines Tages den Songwriter in sich und vergrub sich in die Arbeit von Woody Guthrie, Phil Ochs und Bob Dylan. In den frühen 80ern des letzten Jahrhunderts betrieb er eine Art offener Bühne (seit 1993 im Sidewalk-Cafe im East Village), auf der sich all jene wiederfanden, die mit dem saturierten Folk-Betrieb der Stadt nicht wiederfanden – oder dort einfach nicht erwünscht waren. Lach selbst soll auf den Vorwurf, er spiele gar keinen Folk, gesagt haben: Dann sei das eben Anti-Folk. Demnach wäre Anti-Folk die Erneuerung von Folk mit den Mitteln des Folk, aber nicht nur mit denen.

Enter Jeffrey Lewis. Der gehörte in den 90er Jahren neben Adam Green und Kimya Dawson (als Moldy Peaches), Major Matt Mason, Schwervon und anderen zu den Stammgästen bei Lachs Open-Mic-Abenden. In seinen Songs treffen manische Wortkaskaden wie beim jungen Dylan auf ein eher postmodernes Verweisspiel, in dem Lewis nicht nur Kollegen wie Will Oldham, Leonard Cohen oder The Fall huldigt. Und wieder ein wenig anders verhält es sich mit dem Album „12 Crass Songs“, das eben das enthält: zwölf Songs des britischen Anarcho-Punk-Kollektivs Crass. Er stimme nicht notwendig mit allen Aussagen der Songs überein, erklärte er, schätze aber die lyrische Dichte der Crass-Songs, die ihn an Woody Guthrie oder Phil Ochs erinnere.

Wenn Lewis selbst an die Arbeit geht, erreicht er ebenfalls gelegentlich enorme Dichte, ohne dabei so explizit politisch zu sein wie Crass. Er singt lieber über Dinge um ihn herum, die U-Bahn, Williamsburg, das Chelsea Hotel, folgenlose Begegnungen auf der Straße, die dennoch oder eher grade drum Anlass für nachhaltiges Bedauern sind und so weiter.

Politik ist aber durchaus Teil davon, wenn Lewis beispielsweise einen seiner Comics (Zeichner ist er nämlich auch) live aufblättert und so eine kurze Geschichte des Marxismus erzählt. Aber, wie den Protagonisten der Anti-Folk-Szene im Allgemeinen, geht es eher um die Mühen der Mikroebene. Die beschreibt Jeffrey Lewis mit ansteckender Energie, Exkursen ins Absurde, expliziter Sprache und bisweilen gar Reflexionen der zu erwartenden Rezeption. Damit erweist sich Lewis als höchst charmanter und gewitzter Geschichtenerzähler – und steht, Anti hin, Folk her, in einer langen Tradition großer amerikanischer Songwriter.

■ heute, 21 Uhr, Spedition