Gesundheit: Letzter Ausweg China

1994 wurde Karl Trummer bei einem Autounfall verletzt. Falsche Behandlung, glaubt er, ruinierte seine Gesundheit vollends. Sein Kampf um Entschädigung ist zäh

Will nur noch weg, am besten nach China: Karl Trummer Bild: mnz

Das letzte, was Johann Karl Trummer von einem Bremer Arzt hörte, war der folgende Satz: "Mit so einer Räuberpistole will ich nichts zu tun haben." Einen "Daueralptraum" nennt Trummer die Zeit seit seinem Motorradunfall im Jahr 1994, der den einstigen EDV-Unternehmer aus der Bahn geworfen hat.

Das Unglück im sächsischen Glauchau markierte den Wendepunkt im Leben des eingewanderten Österreichers. Das Bemühen, mit den Folgen des Unfalls fertigzuwerden, ist seither einziger Lebensinhalt von Trummer geworden, der Anfang der Achtziger in Bremen Jura studierte, aktiver Jungsozialist war. Darüber hat er ein Dossier angelegt, in Akribie und Sprache steht es einer Gerichtsakte in nichts nach. Es hat 213 Seiten - und ist "nur die Kurzfassung", wie er sagt.

Den Unfall verursachte ein Unbekannter, er beging Unfallflucht. Die Klinik, in die er eingeliefert wurde, entließ ihn am Folgetag - ein paar Tage Ruhe, und er sei wiederhergestellt, sagte ihm der Arzt zur Entlassung. Ein Irrtum, glaubt Trummer. Tatsächlich habe er gefährliche Verletzungen am ganzen Oberkörper und Becken erlitten. Die Ärzte in Glauchau hätten dies nicht erkannt. In den Monaten und Jahren danach verschlechterte sich sein Zustand immer weiter.

29 Ärzte und zwölf Krankenhäuser hat Trummer in den Folgejahren aufgesucht. An seinen "extremen Schmerzen" konnte niemand etwas ändern, sagt er. Im Gegenteil: Ein Professor für Orthopädie, den er einige Monate nach seinem Unfall in Bremen aufgesucht hatte, habe ihn mit einem Kunstfehler "erst richtig krank gemacht", sagt Trummer. Ein "chiropraktischer Fehlgriff" habe eine Bandscheibe zerstört. Weitere Behandlungsfehler und die Unfallfolgen hätten drei Schlaganfälle, eine Halbseitenlähmung, zweijährigen Sprachverlust, Sehschwierigkeiten und Dauerschwindel verursacht. Fast zwei Jahre saß er im Rollstuhl. "Unerträgliche Schmerzen" seien sein "ständiger Begleiter" geworden, sagt Trummer. Er verlor seine Krankenversicherung, Kassen wollten ihn nicht wieder aufnehmen.

Nach dem Unfall nahm er sich eine Anwältin. Die sollte wegen seiner Berufsunfähigkeit Schmerzensgeld erstreiten, hielt jedoch nur eine außergerichtliche Einigung für erfolgversprechend. Trummer mochte dies nicht akzeptieren, die Anwältin legte das Mandat nieder.

Er suchte nach einem neuen Anwalt, für eine Klage gegen den Chiropraktiker, das Glauchauer Krankenhaus, die Anwältin, die Ämter. Doch niemand war bereit, das Mandat zu übernehmen. Freunde vermittelten ihm den Bremer Rechtsanwalt Lars Ober-Bloibaum. Der wollte ein brauchbares Attest über Trummers gesundheitliche Schäden. Doch Trummer konnte sich nur die offensichtlichen Verletzungen bescheinigen lassen - nicht aber die von ihm beklagten ärztlichen Behandlungsfehler. "Ich habe keinen Arzt gefunden, der dies attestiert." Ober-Bloibaum klagte schließlich bei der Verkehrsopferhilfe 50.000 D-Mark für Trummer ein. Für die Unfallschäden - nicht aber für Behandlungsfehler.

Doch an deren Folgen leidet Trummer weiter, sagt er. Die meiste Zeit des Tages müsse er allein in seiner Wohnung verbringen: "Ich ertrage kaum ein Geräusch, bin immer gereizt und brauche absolute Ruhe." Sein Leben beschreibt er als "Zwangsisolation" - die Schuld daran tragen für ihn die Ärzte. Auf allen Ebenen hat er versucht, seine Ansprüche geltend zu machen: Beim Weißen Ring, diversen Medien, Selbsthilfeorganisationen, Opfervereinigungen und Behörden. Niemand von ihnen habe ihm geholfen.

Er begann mit Übungen aus dem chinesischen Qi Gong und Tai-Chi-Chuan: "Den Schmerz mit Schmerz bekämpfen", das sei das erste, was ihm Linderung brachte, sagt Trummer. Er las über China, seine Hoffnungen richtete er auf die Traditionelle Chinesische Medizin. Mit dem erstrittenen Schmerzensgeld reiste er 1999 und 2000 nach Peking. Aufenthalte in verschiedenen Krankenhäusern besserten seinen Zustand. Wie die chinesischen Ärzte seine Leiden erklärten, "das machte für mich Sinn", sagt Trummer. Was ihre deutschen Kollegen, die ihn als psychisch krank einstufen, über ihn sagen, hält er hingegen für "strafbare Falschaussagen".

Dafür glaubt er an die chinesische Medizin. Nach seiner Rückkehr wandte er Übungen und Methoden der Selbstmedikation an, die er in China erlernt hatte. Stundenlang dauere dies, jeden Tag sei er damit beschäftigt. Es halte die Schmerzen erträglich, heile ihn jedoch nicht. Dazu, so sagt Trummer, sei ein langer Aufenthalt erforderlich - in China. Chinesisch lernt er dazu schon seit 2003. Bezahlen kann er die Reise nicht.

Trotz seines gesundheitlichen Zustands wird Trummer noch immer beim Bremer Jobcenter als erwerbsfähig geführt. "Erst muss ein Amtsarzt das Gegenteil feststellen" heißt es beim Jobcenter. Doch eine solche Untersuchung hat nicht stattgefunden. "Herr Trummer hat daran nicht mitgewirkt", so eine Jobcenter-Sprecherin. Trummer verweist auf zwei Untersuchungen von 1996, eine durch das Gesundheitsamt, eine durch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. "Damals wurde schon festgestellt, dass ich dauerhaft arbeitsunfähig bin. Mein Fall hätte längst von der Rentenversicherung übernommen werden müssen."

Er fordert von der Rentenkasse eine Erwerbsunfähigkeitsrente und eine Krankenversicherung. Doch die Kasse sperrt sich - und verweist an die Sozialbehörden. "Das ist unerträglich", sagt Trummer. "Ich will nach 18 Jahren nur noch weg." Wieder nach China, um sich dort behandeln zu lassen. Er will sich jetzt erst einmal einen neuen Anwalt suchen.

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