Ethnologin setzt Maßstäbe

GRENZPOLITIK In ihrer ausgezeichneten Dissertation zeigt Silja Klepp Gründe auf, die das Mittelmeer zum für Flüchtlinge tödlichsten Meer der Welt machen

Zwar ist klar, wer Schiffbrüchige helfen müsste – doch wird die Rettung oft verzögert

Ihre Arbeit sei „auch von der Sorge geprägt, dass Flüchtlingsrechte ausgehöhlt und abgebaut werden“, schreibt die Bremer Ethnologin Silja Klepp in ihrer Dissertation: Deren Vorhaben nennt sie „eine Ethnografie der Seegrenze“. Und die Wissenschaftlerin hat dafür die Flüchtlingsrouten des Mittelmeers von Libyen nach Malta und Italien bereist, sprich: die umstrittenen EU-Außengrenzen inspiziert.

Jenseits einer neuerlichen Quantifizierung der Opfer, mit der längst nachgewiesen ist, dass das Mittelmeer für Flüchtlinge zum tödlichsten Meer der Welt geworden ist, hat Klepp eine qualitative Untersuchung der Situation auf See vorgelegt.

„Europa zwischen Grenzkontrolle und Flüchtlingsschutz“ heißt die Studie. Und mit der hat Klepp Maßstäbe gesetzt: Gerade erst hat die Research Academy Leipzig ihr den diesjährigen Promotions-Preis verliehen, schon erhält die am Uni-Forschungszentrums für Nachhaltigkeit Artec arbeitende Nachwuchswissenschaftlerin die nächste Auszeichnung: Die Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) hat ihr den mit 1.000 Euro dotierten Christiane-Rajewsky-Preis zugesprochen.

Nach der Gründerin der Düsseldorfer Forschungsstelle Rechtsextremismus benannt, wird der Rajewsky-Preis beim AFK-Kolloquium zum Thema Widerstand-Gewalt-Umbruch verliehen. Das findet vom 22.–24. März 2012 in Villigst, Westfalen, statt. Nominiert ist sie zudem für den Deutschen Studienpreis. In ihren Mittelmeer-Studien weist die Ethnologin nach, wie die EU-Grenzpolitik international gültige humanitäre Normen außer Kraft setzt und zu mörderischem Kompetenzgerangel führt.

So sei längst unklar, ob das Verbot, Menschen in Staaten zurückzuweisen, in denen ihnen Verfolgung und Folter drohen, auf dem Mittelmeer noch Geltung hat. Umgekehrt sei die Verantwortlichkeit zur Rettung Schiffbrüchiger durch die jeweilige Seeposition zwar eindeutig geregelt: „Es mangelt jedoch an der Durchsetzung der Rettungspflicht“. Als einen wichtigen Grund für die steigende Zahl Todesopfer der Überfahrt aus Afrika nennt sie die dadurch verursachte „Verzögerung von Rettungseinsätzen“.  (taz)

Silja Klepp: Europa zwischen Grenzkontrolle und Flüchtlingsschutz. Eine Ethnographie der Seegrenze auf dem Mittelmeer, Transcript-Verlag, 428 S., 34,90 Euro