Bestmöglicher Standard

Isoliert wie die gute alte Thermoskanne: Durch eine Passivhaus-Bauweise lassen sich im Vergleich zu einem konventionellen Gebäude-Neubau bis zu 90 Prozent des Energieverbrauchs einsparen

VON ANSGAR WARNER

Ein nackter Rohbau in Berlin-Mitte, der hippe Arkonaplatz ist nicht weit. Wie durch ein Kartenhaus blickt man durch Betonquadrate in den Garten. Hinter Bäumen und Sträuchern erahnt man die Bernauer Straße, die Grenze zum Nachbarbezirk Wedding. Am Kran hängt ein grüner Kranz mit bunten Luftballons, aus dem Inneren der Baustelle klingt Jazzmusik: Das Projekt „Living in Urban Units“ (LUU) in der Schönholzer Straße feiert Richtfest. Im Foyer stehen Bauarbeiter mit Flaschenbier, junge Väter und Mütter, aber auch ältere Ehepaare nippen an Sektkelchen.

Ein Mann im schwarzen Pullover tritt ans Mikrofon. Es ist Christoph Deimel von der Architektengemeinschaft Deimel und Oelschläger. „1.500 Kubikmeter Beton, 100 Kubikmeter Dämmstoffe, 100 Kubikmeter Stein sind hier bisher verbaut worden“, berichtet er und verspricht: „Wenn alles weiter so gut klappt, sind wir im Frühjahr 2009 fertig.“ Applaus, Applaus.

Die Feiernden haben tatsächlich Grund zur Freude. Als Baugruppe hatten sie sich ein hochgestecktes Ziel gesetzt: Mitten in der Stadt sollte nicht nur ein Mehrgenerationenhaus mit einer Mischung von Eigentums- und Genossenschaftswohnungen entstehen, sondern auch ein Gebäude mit dem bestmöglichen Energiestandard. Bestmöglich, das hieß dann sehr schnell: Passivhaus-Standard. Im Vergleich zu einem konventionellen Gebäude lassen sich so bis zu 90 Prozent Energie einsparen.

„Das funktioniert im Prinzip wie eine Thermoskanne“, erklärt Architekt Deimel bei einem Rundgang. „Das Haus wird rundherum so gut isoliert, dass man keine aktive Energie von außen mehr zuführen muss.“ Passive Wärmequellen sind neben dem Sonnenlicht und der Abwärme elektrischer Geräte auch die Bewohner selbst. Jeder Mensch strahlt Wärme in die Umgebung aus. Dass so geringe Energien zum Heizen ausreichen, liegt an der speziellen Außenhülle. Deimel verweist auf eine dicke Dämmschicht, die das Kellergeschoss komplett umschließt: „Früher glaubte man, mehr als 10 Zentimeter Dämmung lohnt sich nicht, mittlerweile weiß man: Selbst 25 cm und mehr rechnen sich noch!“

Dicke Aluminiumrohre, die sich durch den Rohbau ziehen, verweisen auf eine zweite Besonderheit: Weil Passivhäuser praktisch luftdicht sind, ist eine Lüftungsanlage notwendig. „Die Lüftung ist jedoch in jeder Wohnung individuell einstellbar, bis maximal 24 Grad.“ Die Fenster werden die Bewohner in der Schönholzer Straße zwar öffnen können, doch nötig ist es nicht. Der Architekt setzt auf den Lerneffekt: „Wenn man es übertreibt, wird’s im Winter einfach nicht mehr warm genug.“ Die Restwärme der Abluft soll nämlich über spezielle Wärmetauscher zurückgeholt werden. Eine herkömmliche Heizung gibt es nur im Bad: „Dort hängt das Wohlbefinden stärker von der Raumtemperatur ab.“ Doch auch hier hilft High-Tech beim Sparen: Die Heizenergie kommt aus der Warmwassergewinnung. Bei der ist wiederum die Sonne im Spiel, denn auf dem Dach wird eine solarthermische Anlage installiert.

Für Deimel ist es das erste Passivhaus-Konzept in dieser Größenordnung: „Vorher haben wir das nur an der Uni geübt.“ Aber auch für die Region Berlin-Brandenburg ist ein Mehrfamilienhaus mit Passivhaus-Standard offenbar noch Neuland. Man musste auf handwerkliches Know-how aus Westdeutschland setzen: „Die Fenster mit Dreifachverglasung kommen von einem Hersteller aus Bayern.“ Logistische Unterstützung holte man sich zudem beim Darmstädter Passivhaus-Institut. „Das Gesamtergebnis ist so gut, dass wir uns zertifizieren lassen konnten.“ Dadurch waren besonders zinsgünstige Kredite für die Finanzierung zu bekommen.

Die Gesamtkosten sind dank Baugruppen-Prinzip weitaus niedriger als bei vergleichbaren Projekten: Der durchschnittliche Quadratmeterpreis liegt bei 1.850 Euro. Oder besser gesagt: lag. „Innerhalb weniger Monate nach Baubeginn waren alle Wohnungen vergeben“, so Deimel. Das würden sich die Investoren des „Marthashof“ ein paar Ecken weiter bestimmt auch wünschen, die edle Designerwohnungen an den Mann zu bringen versuchen. Die „Urban Townhouses“ sind allerdings nicht nur doppelt so teuer, sondern haben auch einen schlechteren Energiestandard. Gegen das Projekt hat sich sogar eine Bürgerinitiative gebildet. Die Anwohner befürchten die Yuppisierung ihres Kiezes. In der Schönholzer Straße ist dagegen Gelassenheit angesagt: Das Passivhaus-Projekt ist schließlich selbst eine Art Bürgerinitiative für günstiges Wohnen mitten in Berlin.