Das Schicksal korrigieren

Täuschen, tricksen, tarnen: Noch immer gelten krankheitsbedingte Auszeiten im Lebenslauf als Tabu bei der Arbeitssuche. Bewerbungscoachs empfehlen daher das Kaschieren von Krankheiten – vor allem, wenn psychische Probleme die Ursache sind

VON MARTIN REEH

Wenn Deutschlands vielleicht bekanntester Karriereberater Jürgen Hesse über mögliche Strategien von Bewerbern nach einer krankheitsbedingten Auszeit spricht, verwendet er gerne einen französischen Ausdruck: „Corriger la fortune“ – das Schicksal, das Glück korrigieren. Das hört sich besser an, als Tricksen und Täuschen zu empfehlen, meint aber nichts anderes: „Sie können Auszeiten tarnen, und Sie sollten sie auch tarnen“, sagt Hesse.

Denn allen Diskussionen über Burn-out und andere Folgen von Belastungen am Arbeitsplatz zum Trotz: Krankheiten zählen immer noch zum Tabu in der Arbeitswelt, insbesondere bei Neueinstellungen und Beförderungen. Der frühere VW-Manager Klaus Kocks konstatierte kürzlich in der Talkshow „Menschen bei Maischberger“ einen „Kult des Vitalismus“ im Management, das sich als „erlesene Gemeinschaft der Unsterblichen“ fühle. Depressionen oder Burn-out zuzugeben könne das Todesurteil für die weitere Karriere bedeuten. Und auch auf den unteren und mittleren Etagen der Arbeitsgesellschaft gilt: Wer krankheitsbedingt aus dem Job ausscheiden muss oder in der Arbeitslosigkeit länger krank wird, läuft Gefahr, deshalb nicht mehr in den Beruf zurückzufinden, selbst wenn er wieder vollkommen gesund wird.

Was also tun? Hesse empfiehlt, sich für Bewerbungen eine möglichst glaubhafte Geschichte zurechtzulegen, eine freiberufliche oder selbständige Tätigkeit etwa, eine Auszeit für ein geplantes Buch oder die Versorgung von Familienangehörigen. Eine Wiener Klientin habe etwa depressionsbedingt ein Jahr aussetzen müssen: „Wir haben dann ihre in Spanien lebende Schwester zur Drogenabhängigen erklärt, um die sie sich aufopferungsvoll kümmern musste.“ Auszeiten, die sich über mehrere Jahre hinziehen, seien allerdings schwierig zu verdecken.

Dass Angaben über Krankheiten im Lebenslauf schaden können, ist Konsens unter Bewerbungsberatern. „Jobsuchende mit längeren Krankheiten gelten als nachrangige Bewerber“, sagt Christian Püttjer von der Karriereakademie Püttjer/Schnierda. Fänden Unternehmen einen Kandidaten mit gleichem Profil, aber ohne Krankheitsgeschichte, nähmen sie den. „Die Personaler beschäftigt vor allem, ob sie jemanden wieder in die beruflichen Abläufe integriert bekommen“, meint er. Vor allem das Angeben von psychischen Krankheiten sollten Bewerber vermeiden. Das Tricksen im Lebenslauf sei allerdings besonders im gewerblichen Bereich schwierig. Akademiker könnten aber ihre Freunde bitten, ihnen etwa eine freiberufliche Tätigkeit zu bestätigen.

Rechtlich stehen die Bewerber mit dem Verschweigen oder Überdecken von Krankheitsphasen auf der sicheren Seite, solange sie keine Zeugnisse fälschen: Die Frage nach Krankheiten ist im Bewerbungsgespräch unzulässig, solange die Gebrechen keine Relevanz für den Job besitzen. Der Bewerber ist, sollte sie dennoch gestellt werden, nicht zu wahrheitsgemäßen Angaben verpflichtet, ebenso wenig, wie er gesundheitliche Probleme im Bewerbungsschreiben angeben muss.

Gesetzlicher Papiertiger

Das 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG), das die rechtliche Situation von Jobsuchenden verbessern sollte, erweist sich bezüglich der Krankheitsfrage jedoch meist als Papiertiger: Im AGG ist zwar die Diskriminierung von Behinderten untersagt – die Bewerbungsprobleme von Jobsuchenden mit Lücken im Lebenslauf wegen einer überwundenen Krankheit werden damit aber nicht erfasst. Und eine mögliche Diskriminierung aus Altersgründen, weil die Karriereschritte nicht innerhalb der von vielen Arbeitgebern gewünschten Normalbiografie absolviert werden konnten, dürfte in der Praxis nur schwer nachzuweisen sein.

Immerhin ist mit Einführung des AGG nun auch die Frage nach einer Schwerbehinderung im Bewerbungsgespräch unzulässig: „Fast alle Juristen sagen, dies ist Diskriminierung – es sei denn, es handelt sich um einen Musterarbeitgeber, der sich in einer Integrationsvereinbarung verpflichtet hat, den Anteil von Schwerbehinderten unter Beteiligung des Betriebsrates und der Schwerbehindertenvertretung zu erhöhen und der deswegen diese Frage stellt“, sagt der Arbeitsrechtsexperte Wolfhard Kohte, Professor an der Universität Halle.

Was ist mit dem Einsatz von Detektiven, um Täuschungsversuche in Bewerbungen aufzuspüren? Die Meldung über eine Düsseldorfer Detektei, die sich darauf spezialisiert hat, rauscht seit geraumer Zeit durch den Blätterwald. Unter Bewerbungscoachs hält man die Geschichte für ein Medienthema, das außer bei wenigen Topjobs kaum Bezug zur Praxis habe: „Eine solche Überprüfung kostet zu viel Zeit“, meint Christian Püttjer. Und Hesse glaubt, dass das Tarnen von Auszeiten auch im Sinne des Arbeitgebers sei: „Wenn Sie eine neue Frau kennenlernen, wollen Sie auch nicht am ersten Abend wissen, warum die vorherige Beziehung gescheitert ist.“