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SYSTEMTHERAPIE Am Hamburgischen Institut für Systemische Weiterbildung sollen Therapeuten lernen, Probleme in ihrem sozialen Kontext zu betrachten. Das ist harte emotionale Arbeit

Die gründliche Selbsterfahrung geht an den Kursteilnehmern nicht spurlos vorbei

VON MARLENE WEISS

Mit seinen Bällen, Kissen und hellen Farben wirkt der Raum, als befinde er sich in einer Praxis für Krankengymnastik. Nur die Kisten mit den Steinen und Holzklötzen, die in der Ecke stehen, passen nicht ins Bild. „Mit den Steinen und Klötzen machen wir Familienaufstellung“, sagt Institutsleiterin Susanne Vormbrock-Martini, Leiterin des Hamburgischen Instituts für systemische Weiterbildung (HISW).

Vormbrock-Martini hat das HISW vor zehn Jahren gegründet, gemeinsam mit Ursula Wolter-Cornell, mit der sie vorher jahrelang in einer Praxisgemeinschaft als Therapeutin gearbeitet hat. Seither ist das Institut stetig gewachsen. Inzwischen besteht das Team aus 13 Honorardozenten, hinzu kommen einige Gastdozenten. Sie leiten Weiterbildungskurse zur systemischen Beratung – vom allgemeinen Grundkurs bis hin zur Technik der Familienrekonstruktion.

Nach systemischem Verständnis sei der Mensch immer zugleich als biologisches und soziales Wesen zu betrachten, um „den komplexen Phänomenen des Zusammenlebens komplexitätsgerecht zu begegnen“, heißt es beim Dachverband für systemische Therapie und Familientherapie (DGSF). Konkret bedeutet das, dass die Ursachen für psychische Probleme des Einzelnen in seinem Netz von Bindungen und Beziehungen gesucht werden. Weil der Theorie zufolge alles mit allem zusammenhängt, kann unter Umständen das Schulproblem des Sohnes behoben werden, indem an der Beziehung der Eltern gearbeitet wird. Seit Dezember vergangenen Jahres hat das Prinzip den offiziellen Segen: In einem Gutachten stufte der wissenschaftliche Beirat Psychotherapie die systemische Therapie als „wissenschaftlich“ ein.

Das HISW profitiert von diesem Entscheid nicht direkt, weil das Institut sich vorerst auf die Ausbildung zum Berater beschränkt, was ohnehin kein geschützter Berufsstand ist. Ausbildungszertifikate dafür gibt es vom Dachverband. Allerdings erst nach harter Arbeit: Für das volle Zertifikat „Systemisch Integrative Beratung DGSF“ müssen 70 Kurseinheiten nachgewiesen werden.

Der Vorteil ist, dass die Kursinhalte weiter relativ frei gestaltet werden können. Für Matthias Richter, der als Dozent häufig Kurse am HISW leitet, ist der praktische Nutzen der Ausbildung entscheidend: „Wichtig ist, dass die Leute einen Mehrwert spüren.“ Ihm gefällt besonders die Offenheit des Instituts gegenüber allen Berufsgruppen: „In die Kurse hier kommen auch Lehrerinnen, Krankenschwestern, Sozialpädagogen und Psychologen“, sagt er, „das macht einen großen Unterschied“. Vormbrock-Martini berichtet sogar von Bauingenieuren und Architekten, die ihre Teamfähigkeit systemisch verbessern wollten.

Ein wichtiger Bestandteil der Weiterbildung ist, dass alle Teilnehmer die erlernten Methoden aneinander ausprobieren. Ähnlich wie in der Psychoanalyse wird der Therapeut immer mittherapiert. Die gründliche Selbsterfahrung geht an den Kursteilnehmern nicht spurlos vorbei. Sichtlich erschöpft sitzen sie im Kreis, bunt bekritzelte Whiteboards und Stapel von Holzbausteinen zeugen von intensiver emotionaler Plackerei.

Tröstlich ist da die familiäre Atmosphäre des Instituts. Im Garten blühen Rosen, auf einem Tisch in der Diele stehen Kaffee, Kekse und selbst gemachte Marmelade. Von weither angereiste Kursteilnehmer haben auch schon in einem der Gruppenräume übernachtet.

Frauen sind unter Kursteilnehmern und Dozenten deutlich in der Mehrheit. Vielleicht auch eine Folge des systemischen Ansatzes: „Frauen schauen eben eher auf Beziehungen“, sagt die Leiterin.