Zimt & Zucker vom Pfeffersack

ESSEN Kulinarisch ist Berlin „die ganze Welt in einer Stadt“. Wie ist das mit der Hamburger Spezialität „Franzbrötchen“? Eine Leidensgeschichte

VON LINDA HOLZGREVE

Wenn man aus Hamburg nach Berlin zieht, ist das keine große Sache. Weit ist es nicht. Die Bahn- und Busverbindungen sind perfekt. Meine einzige Sorge vor dem Umzug war: Kann ich in einer Stadt wohnen, die keinen ordentlichen Hafen hat? Und wo geht es im Sommer hin, wenn nicht an die Elbe oder ans Alsterufer? Die Gedanken haben sich als albern erwiesen: Ich wohne jetzt nicht weit von der Spree.

Was ich in Berlin vermissen würde, fiel mir erst auf, nachdem ich hier ein paarmal beim Bäcker war. In Hamburg verehrt man nicht nur die Gewässer, sondern auch ein unscheinbares Zimtbrötchen namens „Franz“, das der durchschnittliche Berliner Kiezbäcker leider selten im Sortiment hat. Meine ersten erfolglosen Bäckereibesuche endeten nicht selten damit, dass mir gutgemeint ein paar Rosinenschnecken eingetütet wurden – dabei sind die mit dem Franzbrötchen allerhöchstens entfernt verwandt. „Das Franz“ ist keine Schnecke. Sein Teig wird gerollt und dann nach außen gedrückt. Innen muss es saftig bis matschig sein, außen darf der Zucker karamellisieren, aber nicht knirschen. Manchmal gab es zumindest Zimtbrötchen im Angebot, meist verhuschte, kleine Vollkornhäufchen, die mit dem „Franz“ meiner Träume zwar den Zimtgeschmack teilten, optisch und haptisch jedoch zu wünschen übrig ließen. Sie schmeckten nach Marzipan, waren übersät mit Rosinen oder brachen komplett zusammen unter einer dicken Zuckerschicht.

Bald entdeckte ich zu meiner Freude, dass nicht nur ich mich in der vermeintlichen Franzbrötchen-Brache Berlin entwurzelt fühlte: In zahllosen Internetforen traf ich Hamburger, die sich über die Qualen ihres Entzugs und sichere Berliner Nachschubquellen austauschten. Ich erfuhr, dass die Notlage von einigen Bäckereien bereits als Geschäftslücke erkannt und mit gründlichem Pioniergeist bedient wird. Die Berliner Bäckerei Butter Lindner beispielsweise hat sich die Liebe zum Franzbrötchen buchstäblich in Hamburg abgeschaut, als sie ihre erste Filiale dort eröffnete. „Großartig fanden wir das Brötchen“, berichtet Claudia Mehrl vom Lindner-Catering-Service und klingt dabei heute noch begeistert, „so was wollten wir für Berlin auch“. Der Clou: Butter Lindner brachte zwar das Franzbrötchen nach Berlin, backt aber nicht nach Hamburger Rezept – da werde der Teig zu trocken. „Wir haben in ganz Hamburg Franzbrötchen getestet und dann ein eigenes Rezept entwickelt“, sagt Mehrl. Als ich nachmittags ins Geschäft komme, sind die Franzbrötchen längst ausverkauft.

Da ich vorhabe, länger in Berlin zu bleiben, sorge ich mich langfristig um die Zukunftsaussichten meines Heimatbrötchens. Kann es wirklich in Berlin heimisch werden? Glaubt man Thomas Götz und Peter Eichhorn, den Autoren des Gastro-Guides „Berlin beißt sich durch“, stehen die Chancen nicht schlecht. Berlin, schreiben sie, das ist „die ganze Welt in einer Stadt“. Selbstverständlich findet es Thomas Götz, dass sich mit der Zeit auch regionale Küchen in Berlin etablieren. Für die schwierige Übergangsphase rät er mir zu mehr Pragmatismus: „Die schwäbische ‚Seele‘ hat in Berlin zuerst auch ständig nach Oliven statt nach Kümmel geschmeckt. Es gibt eben nie das eine authentische Rezept.“

■  Linda Holzgreve, Hamburg–Berlin