Minister Scholz stellt Bilanz vor: Plebiszit über Mindestlohn

Fürs Erste hat die SPD das Spiel um den Mindestlohn verloren. Tatsächlich hat sie ein Thema gewonnen - für die Wahl 2009.

Die Sicherheitsbranche diskutiert über den Mindestlohn - das reicht aber nicht, um das Konzept zu retten. Bild: ap

BERLIN taz Die Uhr im Pressesaal des Arbeitsministeriums war am Montagmittag noch nicht auf Sommerzeit umgestellt. Sie zeigte viertel nach zwölf, nicht viertel nach eins, als Olaf Scholz (SPD) seine Mindestlohn-Bilanz vorstellte. Der Minister wirkte also etwas aus der Zeit gefallen, ein Detail, was zu der ministerlichen Botschaft passt: Einen "gigantischen politischen Erfolg" will der Arbeitsminister bei seinem Lieblingsprojekt erkennen.

Sieben Branchen mit rund 1,43 Millionen Beschäftigten meldete Scholz, die über das Entsendegesetz Lohnuntergrenzen einführen wollen. "Damit werden wir durch das Entsendegesetz eine Verdopplung der Beschäftigten erreichen, die durch Mindestlöhne geschützt sind", so das Fazit von Olaf Scholz. Bisher gelten über das Entsendegesetz für 1,8 Millionen Beschäftigte Mindestlöhne, etwa im Baugewerbe oder in der Postbranche. Am Montag endete die Frist, in der Branchen ihr Interesse an Mindestlöhnen bekunden sollten - wobei sich Branchen auch später noch bewerben können, wie Scholz betonte.

Welche Branchen bekommen den Mindestlohn jetzt neu?

Sieben Branchen wollen, dass der Gesetzgeber einen Mindestlohn für allgemeinverbindlich erklärt: Die Zeitarbeit (630.000 Beschäftigte), die Pflegedienste: (565.000), Bewachungsgewerbe (170.000), die Großwäschereien (30.000) und weitere kleine Branchen.

Wo gibts schon Mindestlöhne?

Im Bauhauptgewerbe, bei Dachdeckern, Malern und Lackierern, bei Gebäudereinigern, Elektrikern und - seit Jahresanfang - auch bei den Briefzustellern.

Wie hoch sind Mindestlöhne?

Die höchsten Mindestlöhne gelten am Bau. Im Westen dürfen gelernte Kräfte zurzeit nicht weniger als als 12,50 Euro je Stunde verdienen, im Osten nicht weniger als 9,80 Euro. Die niedrigsten Mindestlöhne haben zurzeit die Gebäudereiniger, die Spanne liegt hier zwischen 6,58 und 10,80 Euro.

Was Scholz als Erfolgsstory beschreibt, interpretiert die CDU als politisches Desaster. "Von einem künftigen flächendeckenden Mindestlohn in Deutschland kann keine Rede sein", triumphierte Norbert Röttgen, der Parlamentarische Geschäftsführer der Union. "Ich rate dringend, das Gesetzesvorhaben aufzugeben und das gescheiterte Kampfthema Mindestlohn nicht weiter zu verfolgen."

Generalsekretär Ronald Pofalla lästert über "eine der fatalsten Fehleinschätzungen der Sozialdemokraten in den letzten Jahren." Und Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) frohlockt: "Faktisch ist die Debatte zu Ende. Es hat sich die Vernunft durchgesetzt." Weil die Wirtschaft sich nur so spärlich zum Mindestlohn bekannte, wittern einige CDUler die Gelegenheit, ungeliebte Eingriffe des Staates in die Tarifautonomie endgültig zu beerdigen.

Die Niederlage der SPD ist wegen Peter Struck so offensichtlich, dem knorrigen SPD-Fraktionschef. Er posaunte Anfang März eine Zahl hinaus. Mindestens zehn Branchen würden sich für den Mindestlohn per Entsendegesetz entscheiden. "Mindestens zehn", sagte Struck, nicht "wahrscheinlich acht". Was Scholz bei seiner Bilanz ebenfalls verschweigt: Einige der stolz präsentierten Branchen sind Exoten mit wenig Beschäftigten, etwa die Forstwirtschaft, die kaum zählen. Und bei einer der wichtigsten, der Zeitarbeitsbranche, hat die Union juristische Bedenken. "Eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung wird es mit der CDU definitiv nicht geben", kündigt Pofalla an. Von Arbeitsminister Scholz findet sich wegen solcher Unwägbarkeiten in den Archiven nirgends eine Erfolgsprognose - wohlweislich. "Strucks Festlegung war eine Riesendummheit", heißt es im SPD-Vorstand. "Das Entsendegesetz kommt einfach nur für wenige Branchen in Frage."

Trotz der Schlappe will die SPD das Instrument, um Dumping-Löhne einzudämmen, vorantreiben. "Wer den ganzen Tag arbeitet, darf am Ende des Monats nicht auf öffentliche Unterstützung angewiesen sein", sagte Scholz. Genau das ist in Niedriglohn-Branchen wie etwa dem Friseurgewerbe der Fall. Im August 2007 bezogen rund 1,1 Millionen Menschen öffentliche Zuschüsse zusätzlich zu ihrem Einkommen.

Mit der Modernisierung eines zweiten Gesetzes, des Mindestarbeitsbedingungengesetzes, will die Koalition Branchen mit geringer Tarifbindung absichern. Scholz übt sich in Zweckoptimismus. Bis zum Sommer will er beide Gesetzeswerke unter Dach und Fach bringen. Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ über den Regierungssprecher ausrichten, die Novellen würden wie in der Koalition besprochen weiter verfolgt. Doch auch hier liegen die Vorstellungen von Union und SPD himmelweit auseinander, im Koalitionsausschuss am 28. April könnten die Fetzen fliegen.

Trotz der Häme setzt die SPD weiterhin auf ihr Herzensprojekt. "Jetzt nur nicht die Nerven verlieren, weil die CDU einen Schwachpunkt gefunden hat, wo sie sticheln kann", sagt ein Vorständler. "Im Wahlkampf schalten wir dann auf die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn um - aber dafür ist es definitiv zu früh."

Als Wahlschlager wird der Mindestlohn der Republik also erhalten bleiben, zur Freude der Linken. "Die Bundestagswahl 2009 wird auch eine Volksabstimmung über Mindestlöhne", glaubt etwa die Linke-Vizevorsitzende Katja Kipping. Zwei Dinge sprechen dafür: Die Zustimmung der Deutschen zur Eindämmung von Hungerlöhnen ist ungebrochen. 80 Prozent der Deutschen sind für branchenbezogene Mindestlöhne, ergab eine jüngst vom DGB in Auftrag gegebene Umfrage. Und: Wenn die Finanzkrise in den USA stärker auf die deutsche Wirtschaft durchschlägt, was mancher Experte schon für Ende 2008 vorhersagt, wird sich bei vielen Deutschen die Furcht vor dem Absturz in die Armut noch verstärken.

Die Frage ist nur: Was kommt nach dem Wahlkampf? Ein gesetzlicher Mindestlohn ist mit der CDU in einer großen Koalition nicht zu machen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre CDU sind strikt gegen die von der SPD bevorzugte flächendeckende Lösung, wegen dieser Kluft hatte man im Sommer 2007 die Notlösung über zwei andere Gesetze vereinbart.

Scholz sagt es so: "Den gesetzlichen Mindestlohn wird es erst unter einem sozialdemokratischen Kanzler geben." Zu der Frage, mit wem der Mindestlöhne durchdrücken soll, schweigt der Minister aber. Denn die politische Mehrheit für Mindestlöhne heißt: Rot-Rot-Grün.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.