Debatte um steigende Energiepreise: Strom für die Armen

SPD-Umweltpolitiker Scheer hat das Konzept einer günstigen Basisversorgung mit Strom entwickelt. Doch Wohlfahrtsverband und CDU lehnen dies als Planwirtschaft ab.

Wer muss sozial Schwachen zu Strom verhelfen - Staat oder Wirtschaft? Bild: dpa

BERLIN taz Reinhold Hufgard ist Experte fürs Sparen. Als Mitarbeiter der katholischen Caritas in Frankfurt am Main berät er arme Leute, wie sie ihren Verbrauch von Energie und Wasser reduzieren können. Hufgard geht in die Wohnungen und liefert ein Paket, das unter anderem Steckerleisten, Sparduschköpfe und auch eine Zeitschaltuhr umfasst.

Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung hat berechnet, wen höhere Energiepreise besonders treffen. So musste ein Singlehaushalt der niedrigsten Einkommensgruppe (Durchschnitt 11.617 Euro pro Jahr) im Juni 12,4 Prozent seines Einkommens für Energie ausgeben. Ende 2007 waren es erst 10,1 Prozent. Bei einem Singlehaushalt der höchsten Gruppe (Durchschnitt 62.614 Euro) stieg der Anteil von 3,9 auf 4,8 Prozent. Bei armen Paaren mit zwei Kindern stieg der Anteil von 14,3 auf 18 Prozent, bei reichen Paaren mit zwei Kindern von 5,6 auf 6,9 Prozent.

Wer eine Steckerleiste zwischen Fernsehgerät und Steckdose schaltet, reduziert den Stand-by-Verbrauch. Eine Zeitschaltuhr ist nützlich, um den Stromverbrauch des Warmwasserboilers zu zügeln. Hufgards Spartechnik für den gesamten Haushalt kostet einmalig 50 bis 60 Euro. Den Einspareffekt beziffert er dagegen auf bis zu 120 Euro pro Jahr.

Diese praktischen Tipps sind nützlich. Gerade in Zeiten, in denen alleinerziehende Mütter, arbeitslose Bauarbeiter, Minijobber und Millionen Hartz-IV-Empfänger nicht mehr wissen, wie sie die schnell wachsende Strom- und Gasrechnung bezahlen sollen. Aber praktische Lebenshilfe ist nicht genug.

Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) und auch andere Sozialverbände fordern die große Koalition deshalb auf, bedürftigen Menschen mit höheren staatlichen Zuschüssen zu den Energiekosten zu helfen. Zugleich überbieten Union, Sozialdemokraten, Linkspartei und Gewerkschaften sich gegenseitig mit ebenso sinnvollen wie sinnlosen Debattenbeiträgen. Kein Wunder: Das Problem betrifft viele Menschen ganz direkt. Deshalb taugt es auch noch für den entferntesten Politiker, seine Nähe zum Wähler zu demonstrieren.

Die Idee des Wohlfahrtsverbandes hat einen großen Vorteil: Sie ist einfach und vergleichsweise billig. "Nach unseren Berechnungen liegt die Unterstützung durch Hartz IV um 20 Prozent zu niedrig", sagt Werner Hesse, Geschäftsführer des DPWV. Eigentlich soll sich das Arbeitslosengeld II am Existenzminimum orientieren. Dies tut es nach Meinung der Sozialverbände aber schon lange nicht mehr. Ein aktueller Grund: der Preisanstieg bei Energie.

Wer Hartz IV bekommt, erhält rechnerisch 25 Euro pro Monat, um seine Stromrechnung zu begleichen. Aber wie werden steigende Energiepreise und die wachsende Inflation berücksichtigt? Zwischen Mai 2007 und Mai 2008 ist Strom um 7,4 Prozent teurer geworden. Und die Kurve zeigt weiter nach oben. "2,50 Euro pro Monat mehr für Strom" müssten es schon sein, meint Hesse. Würde der Staat die rund 3,2 Millionen Arbeitslosen auf diese Art und Weise unterstützen, würde das 100 Millionen Euro im Jahr kosten.

Ein ähnliches Vorgehen wünschen sich die Sozialverbände auch für Geringverdiener, die nicht Hartz IV, wohl aber Wohngeld erhalten. Auch da solle die Regierung den Zuschuss erhöhen. Fritz Kuhn, Fraktionschef der Grünen im Bundestag, findet diesen Plan gut. Er würde gezielt und effektiv die Menschen entlasten, die die größten Sorgen haben.

In der großen Koalition werden derzeit jedoch andere Vorschläge bevorzugt. CSU-Chef Erwin Huber etwa sieht als Opfer der Energiekostenexplosion vor allem die BMW-Arbeiter, die von ihrem Haus im Münchner Umland täglich zum Werk in die Stadt fahren. Huber plädiert für die Wiedereinführung der alten Pendlerpauschale, einer Steuervergünstigung für Fahrten zur Arbeit, die 2007 stark gekürzt wurde. Die Rückkehr zum alten Modell würde 2,5 Milliarden Euro kosten. Entlastet würden zwar auch einige Ärmere, jedoch vor allem diejenigen, die sich keine Sorgen um ihre Energierechnung machen müssen.

Einen anderen Haken haben die Vorschläge zur Steuersenkung, die Union und FDP momentan diskutieren. Sollte, wie es die FDP verlangt, die Mehrwertsteuer für Energie reduziert werden, würden kurzfristig die Preise sinken. In welchem Maße und wie lange aber die Entlastung wirkte, weiß niemand. Möglicherweise würden die Energieversorger einen erheblichen Teil der Reduzierung durch erneute Preiserhöhungen in die eigenen Kassen umleiten.

Bei der SPD hat gerade Hermann Scheer, hessischer Umweltminister in Wartestellung, das Heft in die Hand genommen. Zusammen mit der Oppositionsführerin im Wiesbadener Landtag, Andrea Ypsilanti, macht er einen plausiblen, aber sehr weit gehenden und konfliktträchtigen Vorschlag. Scheer möchte nichts weiter, als dass alle Stromkunden eine bestimmte Basismenge Elektrizität von den Stromversorgern umsonst geliefert bekommen. Der Umweltpolitiker denkt an 900 Kilowattstunden für einen Dreipersonenhaushalt pro Jahr - rund ein Viertel des normalen Verbrauchs.

Damit die Energiekonzerne auf diesen Kosten - über den Daumen sieben Milliarden Euro jährlich - nicht sitzen bleiben, sollen alle Stromkunden oberhalb der Freigrenze mehr pro Kilowattstunde bezahlen als bisher. Scheer will den Preis mit höherem Verbrauch außerdem progressiv steigen lassen, um einen Anreiz zum Energiesparen zu geben. Normale Haushalte würden durch die Umverteilung der Energiekosten von unten nach oben mit etwa 1,50 Euro pro Monat zusätzlich belastet. Nicht viel - aber die Reform setzte ein größeres Gesetzespaket voraus.

Der Koalitionspartner CDU winkt schon mal ab. Marie-Luise Dött, umweltpolitische Sprecherin, bezeichnete Scheers Vorschlag gerade als "Planwirtschaft". Dött will lieber öffentliche Fördergelder in Energiesparprogramme investieren. Die Konzerne Vattenfall, RWE und EnBW sind ebenfalls nicht begeistert vom Sozialtarif. Wobei sie eingestehen müssen, dass die Idee nicht ganz aus der Luft gegriffen ist. Denn die Kollegen von Eon probieren das Konzept seit Januar dieses Jahres bereits aus. Etwa 30.000 Haushalte, die eine armutsbedingte Befreiung von den Runkfunkgebühren vorweisen können, brauchen keine Grundgebühr für die Stromlieferung zu zahlen. Das bedeutet 60 bis 120 Euro Ersparnis pro Jahr. Und auch in Belgien gibt es eine derartige Entlastung für Leute mit niedrigen Einkommen - darauf hat Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hingewiesen, der ebenfalls mit den Sozialtarifen liebäugelt.

Wegen immer weiter wachsender Gewinne stehen die Energiekonzerne unter Druck. Und sie wissen auch, dass sie sich den Abschied vom Atomausstieg, den ihnen die Union anbietet, erkaufen müssen. Und doch passen ihnen flächendeckende Sozialtarife überhaupt nicht in den Kram. Warum sollen sie für den Staat die Kohlen aus dem Feuer holen? Denn auch DPWV-Geschäftsführer Werner Hesse sagt über die Sozialtarife: "Das ist dummes Zeug. Die Energieversorger sind privat. Jetzt ist der Staat gefordert."

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