Landwirtschaftsreform in Kuba: Keine Kohlköpfe in Eigenregie

Früher war die Landwirtschaft das Rückgrat der kubanischen Wirtschaft. Doch seit Ende der 80er-Jahre versinkt der Sektor in Agonie. Staatschef Raúl Castro wollte das eigentlich ändern.

Zuckerrohr wird kaum noch angebaut in Kuba. Bild: ap

HAVANNA taz Die Hinweistafel zur Genossenschaft Roberto Fernández Pérez ist von der Sonne verblichen, und das überdimensionierte Betonungetüm am Straßenrand hat auch schon lange keine Farbe mehr gesehen. Auf dem Hof der "Kooperative zur landwirtschaftlichen Produktion" herrscht alles andere als reges Treiben. "Hier passiert nicht mehr viel", sagt Renero Suárez, grüßt die vier Männer, die im Schatten Domino spielen, und lenkt den Pferdewagen an den schmucken, frisch gestrichenen Häusern vorbei, die unterhalb der Wirtschaftsgebäude der Kooperative stehen. Ein seltsamer Kontrast, den Renero so erklärt: "Die meisten Genossen haben die Landwirtschaft an den Nagel gehängt und arbeiten im Hotel in Varadero."

Seit Anfang September läuft in Kuba die Verteilung von staatlichem Ackerland an Bewerber aus Stadt und Land. 13,43 Hektar werden maximal an landlose Bauern vergeben. Allerdings können auch private Kleinbauern mit wenig Fläche ihre Anbaufläche durch Zupachtung auf 40,26 Hektar erweitern. Private Kleinbauern bewirtschaften in Kuba etwa 18 Prozent der Fläche, wobei sie teilweise in Genossenschafen zusammengeschlossen sind. Der Rest der Anbaufläche ist faktisch in Staatsbesitz, zu großen Teilen allerdings Kooperativen zur Nutzung überschrieben. Das Modell, 1993 nach dem Ende der staatlichen Agrargroßunternehmen, eingeführt, hat jedoch nie die Erwartungen erfüllt. Dies ist der zentrale Grund für die neuerliche Reform, die jedoch nur sehr zögerlich anläuft. (B.B.)

Renero kommt aus Cardenas, das nur 15 Kilometer von den prächtigen Stränden der kubanischen Touristenmetropole entfernt liegt. Seitdem die Werften, Eisenbahnwerkstätten und die Rumdestille Arechabala kaum mehr etwas produzieren, ist der Tourismus der wichtigste Arbeitgeber rund um Cardenas. Renero Suárez, ein stämmiger Mann mit dicker Hornbrille und hellblauer Baseballkappe, deutet wie zum Beweis auf die verwilderten Felder rechts vom Feldweg. Auf denen haben Gräser und der Fluch der kubanischen Landwirtschaft, der Marabu, das Regiment übernommen.

Links vom Feldweg hingegen ist von dem dornigen und widerspenstigen Buschwerk, das bis zu vier Meter hoch werden kann, nichts zu sehen. Akkurat angelegte Gemüsebeete, lange Reihen von Bananenstauden und Obstbäumen zeugen von disziplinierter Arbeit. Ebenso das Schild neben dem aus Stahlrohr gefertigten Eingangstor: "Finca Retiro" steht da zu lesen und darunter "Exelencia nacional". Die 35 Hektar große Farm ist ein Musterbetrieb. Darüber kann sich die Direktorin des Betriebes zwar freuen, doch trotz aller Auszeichnungen dürfen Rita Morris und ihre 65 Mitarbeiter keinen Kohlkopf in Eigenregie verkaufen.

"In Kuba gibt es minutiöse Vorschriften, wer was und wo verkaufen darf. Nachdem die Hurrikans zwischen Ende August und Anfang November weite Landstriche verwüstet haben, wurden obendrein noch die Preise eingefroren", erklärt sie und zieht die Schultern hilflos nach oben. "Einige Bauern, die es gewagt haben, Produkte auf dem schwarzen Markt zu verkaufen, sind sogar zu Haftstrafen verurteilt worden." Unter den kubanischen Bauern hat die Maßnahme, welche eigentlich der Spekulation mit Lebensmitteln vorbeugen sollte, ebenso wenig für Begeisterung gesorgt wie die drastischen Treibstofferhöhungen Anfang Oktober um bis zu 65 Prozent. Niemand im Agrarministerium interessierte sich dabei für die Preiskalkulation der Bauern und Transportunternehmer, kommentiert ein europäischer Entwicklungsexperte, der lieber anonym bleiben will.

"Obendrein wurden dann noch Lkws auf dem Weg nach Havanna kontrolliert, Waren beschlagnahmt oder wegen fehlender Papiere nicht weitertransportiert", so der Agrarexperte. Die Folge: Einige Bauern setzten die staatlichen Ankäufer von Agrarprodukten, denen sie große Teile der Produktion verkaufen müssen, vor die Tür und verschenkten ihre Ware oder ließen sie lieber verrotten. Sie liefern deutlich weniger, weil sie sich nicht gängeln lassen wollen. Entsprechend mau ist nun das Angebot auf den Bauernmärkten. Nur Knoblauch und Knollenfrüchte, vornehmlich Yucca und Malanga, waren im Oktober und Anfang November zu erhalten.

"Wenn die Polizei ihre Finger raushalten würde, gäbe es mehr zu kaufen und die Produkte wären billiger", knurrt Enrique Orlando, Verkäufer auf dem Bauernmarkt von Cardenas, genervt von der Frage, weshalb seine Ananas so teuer sei. In der kleinen Küstenstadt wurde früher nicht nur Zucker, sondern auch andere Agrarprodukte verschifft.

"Schnee von gestern, denn der Zuckerexport spielt in Kuba keine Rolle mehr. Guck dir die Felder an", erklärt Renero Suárez mit einer wegwerfenden Handbewegung. Zwischen Cardenas und Santa Clara, wo noch zu Beginn der 90er-Jahre weite Zuckerrohrfelder wogten, liegen große Teile der Anbaufläche brach. Hier und da grasen magere Rinder und Kühe mit winzig anmutenden Eutern auf den Weiden. Kaum anders sieht es rund um Trinidad aus, wo fast alle Zuckermühlen stillgelegt wurden, weil der Weltmarktpreis zu Beginn des Jahrtausends die Produktionskosten kaum deckte.

"Zuckerrohr wird kaum mehr angebaut", erklärt Ramón Zulueta Ortiz. Früher hat der 68-jährige Parkwächter vom Strand Ancón als Mechaniker in einer Zuckerfabrik gearbeitet, heute muss er sich etwas dazuverdienen, weil die Pension nicht langt. "Sie wollten mehr Lebensmittel anbauen und weniger importieren", erinnert sich der Mann mit einem spöttischen Lächeln. Das war 2002, als 60 Prozent der Zuckeranbaufläche umgewidmet wurden - die letzte einer ganzen Reihe von gescheiterten Agrarreformen. "Bis heute sind die Lebensmittel auf den Bauernmärkten nicht angekommen. Jetzt muss ich immer öfter in den Devisenshop, um Lebensmittel zu kaufen", murrt der Rentner.

Typisch für die Situation in Kuba. "Die Schere zwischen dem, was produziert wird, und dem, was konsumiert wird, geht seit Jahren weiter auseinander", so der kubanische Agrarspezialist Armando Nova vom Forschungsinstitut der kubanischen Wirtschaft (CEEC). "In den letzten Jahren ist die landwirtschaftliche Produktion stetig gesunken. 2007 hat es zwar ein leichtes Wachstum gegeben, beileibe aber keine Umkehr der negativen Tendenz." Die manifestiert sich im wachsenden Importbedarf. Während 2002 noch für rund eine Milliarde US-Dollar Lebensmittel importiert wurden, waren es 2007 knapp 1,7 Milliarden US-Dollar. Im laufenden Jahr werden es kubanischen Schätzungen zufolge zwischen 2 und 2,5 Milliarden sein. Das kann sich Kuba kaum leisten, und die Parole "Wir müssen das Land wieder produktiv machen" von Staatschef Raúl Castro bringt das zum Ausdruck. Nur über das Wie ist man sich in Kuba nicht einig.

Experten wie Nova kritisieren die Entfremdung der Bauern vom Boden in den staatlichen Kooperativen. Die bewirtschaften formell rund 80 Prozent der Agrarflächen, während die restlichen zwanzig Prozent von unabhängigen Genossenschaften und Privatbauern bestellt werden. Allerdings haben Erstere, die staatlichen Kooperativen, in den letzten Jahren immer größere Flächen sich selbst überlassen. Insgesamt ein knappes Drittel der gesamten Anbaufläche von 6,6 Millionen Hektar liegt brach. Diese riesigen Flächen stehen seit Anfang September zur Verteilung frei. Jeder interessierte Bauer oder Stadtbewohner kann sich für eine Fläche von bis zu 13 Hektar Staatsland bewerben. Die Ackerfläche wird dem Bewerber zur Nutzung auf zehn Jahre überlassen, um die Lebensmittelproduktion landesweit anzukurbeln, so die Idee dahinter.

Doch das Interesse ist verhalten. So auch in der Kaffee-Kooperative Luís Lara in den Bergen der Sierra del Escambray, dreißig Kilometer von Trinidad gelegen. Dort arbeitet Mariano Hernández. Von der mit großem Brimborium angekündigten Reform in der Landwirtschaft hält er nichts. Kaum einer in seinem Dorf Cordobanal zeigt Interesse, zusätzliches Land vom Staat zu nehmen. "Wer garantiert uns die Belieferung mit den nötigen Produktionsmitteln, wer garantiert uns, dass wir die Früchte unserer Arbeit auch ernten können?", fragt er misstrauisch. Hernández ist Traktorist in der staatlichen Kooperative und seit langem genervt von den Arbeitsbedingungen. "Bei uns fehlt es an allem. Wir erhalten kaum Material, kein Werkzeug, und oftmals kommen selbst die Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmittel zu spät." Der 48-Jährige gibt sich keinen Illusionen für die Zukunft hin. "Wenn ich nicht zumindest die Lebensmittel für meine Familie auf dem Land meines Vaters anbauen würde, hätte ich keine Chance, mit meinem Lohn über die Runden zu kommen", schimpft er.

250 Peso nacional erhält er und muss doch viele Produkte wie Shampoo, Seife oder Speiseöl, die es auf dem nationalen Markt nur selten gibt, in der Devisentienda einkaufen. Dort bekommt man alles für den CUC, den konvertiblen Peso, doch Mariano erhält wie alle Kubaner seinen Lohn im Peso nacional. Eins zu 24 lautet der Wechselkurs, und wer nicht genug verdient, erschließt sich andere Einkommensquellen. Lebensmittel vom Feld seines Vaters und hin und wieder einige Liter Diesel, die er abzweigt, verkauft Mariano. In seiner Kooperative machen es alle so. Alltag in Kuba. "Daran wird sich mit der Reform kaum etwas ändern", ärgert sich Hernández und reibt sich missmutig den buschigen Schnauzer.

Dem pflichten die Fachleute in Havanna bei. Zwar sei positiv, dass man entschieden habe, endlich einen nationalen Markt für Agrarbedarf aufzubauen, aber die Reform selbst sei für die Bauern kaum attraktiv. "Die Bestimmungen sind sehr schwammig und enthalten viele Pflichten, aber wenig Rechte für die Bauern", sagt Wirtschaftsfachmann Nova. Ein Manko, das viele Bauern abschreckt, denn sämtliche Investitionen tätigen sie auf eigenes Risiko. "Sicherheiten, dass das auf zehn Jahre begrenzte Nutzungsrecht verlängert wird, gibt es nicht", erklärt Nova.

Das ist für die Bauern alles andere als attraktiv. Deshalb sind bis Anfang Oktober gerade 52.879 Anträge auf Landzuteilung eingegangen - angesichts von zwei Millionen Hektar zu verteilendem Brachland eine bescheidene Ausbeute. Viel mehr erwartet Nova nicht, denn nicht nur für ihn, sondern auch für Rita Morris ist die Reform ein Schlag ins Wasser. Den Reden von Raúl Castro werde die Reform schlicht nicht gerecht.

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