Einigkeit und Recht und Ausgrenzung

GERECHTIGKEIT Was wird aus der Solidarität in Zeiten der Finanzkrise? Rassismus, Sexismus, Unterdrückung – die vergessenen Krisen des Alltags

VON NELE MÖHLMANN
UND SIMON GOEBEL

Die Krise. Da weiß jede gleich, was gemeint ist – als gäbe es nur eine. Die Prioritäten in diesem Land sind offenkundig: Leistung, Arbeit, Finanzen. Es gibt aber auch andere Krisen, verdrängte Krisen: Rassismus und Sexismus, die alltägliche Ausgrenzung von sogenannten Anderen.

„Das Interesse, Rassismus als ein Grundproblem der deutschen Gesellschaft anzuerkennen, ist aus nachvollziehbaren Gründen im weißen Mainstream so beliebt, wie sich einen Riesenpickel aus dem Gesicht auszudrücken“, sagt der Rassismusexperte Kien Nghi Ha.

Und zwar völlig unabhängig vom Zusammenbruch der Wirtschaftssysteme. Ausgrenzung ist in Deutschland vielmehr ein alltägliches Phänomen. Die Kreuzberger Kneipe „Zum kleinen Mohr“ oder die „Sarotti-Höfe“ mit ihrer neokolonialen Symbolik – dem „Sarotti-Mohr“ – zeigen diese Problematik auffällig ungeniert. Genauso läuft es beim Sexismus: Laut Severin Weiland folgen barbusige Frauen im Auftritt des „linksliberalen“ Nachrichtenportals Spiegel-online nur dem „Wunsch der Öffentlichkeit nach solchen Bildern“. Das sagt der ehemalige tazler, der uns während des Workshops für Online-Journalismus begeistern will.

Rassismus und Sexismus sind wie geschaffen für Ignoranz und Verharmlosung. Das sind „gesellschaftliche Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse, nicht etwa nur sprachliche Missverständnisse“, sagt der Politologe Ha. Seit Jahren schrumpfen die Etats für antirassistische Arbeit und für Frauennotrufe. Die Befürchtung, dass die Finanzkrise diesen Zustand noch verschlimmert, ist da. „Wie weit werden die Kürzungen gehen?“, fragt Ariane Brensell, Psychologin und Sozialwissenschaftlerin. „Wer wird überhaupt noch die Möglichkeit haben, andere Ideen und Ansätze zu diskutieren und zu streuen?“

Wenn das Ego siegt, steigt dann die Gefahr von gesellschaftlicher Ausgrenzung und Unterdrückung? Die Suche nach Sündenböcken ist ein altbekanntes Problem von Gesellschaften in Krisenzeiten. Genauso wie die Verharmlosung von „nicht finanzrelevanten“ Themen. Angesichts dieser Missstände ist es ein Hohn, dass dieses Jahr ein nationaler Gedenktag nach dem anderen gefeiert wird.