Hoffnung nach der Privatinsolvenz: Neues Konto, neues Leben

Wer einmal tief in der Kreide stand, kriegt bei keiner Bank mehr ein Konto. Allein die Ethikbank bietet Schuldnern einen Wiedereinstieg in den Alltag an: mit dem Mikrokonto.

Nach der Insolvenz fällt der Gang zum Bankautomaten flach, denn wo kein Konto ist, gibt's auch kein Geld. Bild: dpa

Die Ethikbank in Eisenberg (www.ethikbank.de) bietet überschuldeten Menschen ein Mikrokonto an. Bedingung: der Insolvenzschein. Zu dem Onlinekonto gehören keine EC- und keine Kreditkarten, auch kein Dispokredit, dafür aber Servicekarten für alle Bankautomaten der Volks- und Raiffeisenbanken. Kontoführungsgebühr: 7,50 Euro im Monat.

Herbert Erler* genießt den Gang zum Bankautomaten. Besonders genießt er den Moment, in dem er seine Karte in den Schlitz schiebt und seine PIN-Nummer eintippt. Das gibt ihm das Gefühl, ein ganz normaler Bürger zu sein. Das war nicht immer so. Es gab eine Zeit im Leben von Herbert Erler, da hatte er fast Angst, irgendetwas bezahlen zu müssen. Dann bangte er: Hoffentlich reicht mein Bargeld, hoffentlich fragt mich niemand nach meiner Kontonummer.

Vor drei Jahren besaß Herbert Erler nämlich keine Geldkarte, er hatte noch nicht mal ein eigenes Konto. Herbert Erler ist blank, so richtig blank. Er und seine Frau haben Schulden, es waren mal über 20.000 Euro. Das Paar hat gut gelebt vor einiger Zeit, und auf Pump: großes Auto, Dachgeschosswohnung, teure Konsumgüter. Doch dann verlor Frau Erler ihren Job als Verkäuferin, das Paar konnte die Raten nicht mehr bezahlen, irgendwann ging es in die Privatinsolvenz.

Die Bank sperrte die Konten und zog alle Geldkarten ein. Das war das eigentlich Dramatische, sagt Herbert Erler. Denn einer, der kein eigenes Konto hat, ist ein Niemand, jemand, bei dem nichts mehr geht. Kein Geld zu haben, das passiert heute auch schon mal denen, die nie damit gerechnet hatten. Aber kein Konto zu haben, das bedeutet, seinen Alltag nicht mehr organisieren zu können: Miete, Telefon, Krankenkasse, Strom, Gas, Versicherungen, alle Geldangelegenheiten werden über das Girokonto abgewickelt. Und das war für Herbert Erler auf einmal nicht mehr möglich. Die Bundesregierung kann sich seit Jahren nicht zu einem Rechtsanspruch auf ein Girokonto durchringen.

"Ich fühlte mich richtig schlecht", sagt Herbert Erler. Er sitzt vor einer Tasse Kaffee in der Kantine einer großen Bildungsstätte in Berlin. Dort arbeitet er als Hausmeister, seit mehr als 20 Jahren. Dort kennt man den Mann mit den lustigen Augen und den grauen Locken, er ist das "Mädchen für alles". Er ist 54 Jahre alt, und er hätte nie gedacht, dass er noch einmal so auf den Hund kommt. "Gott sei Dank hatte ich ja meinen Job", sagt er. In der Firma erzählte er niemandem, dass er insolvent ist und einen Schufa-Eintrag hat, das wissen auch nur wenige Freunde. Er will nicht erkannt werden und in der Zeitung auch nicht seinen richtigen Namen nennen. Das Leben eines Schuldners läuft hauptsächlich in der Anonymität ab.

Seinem Chef musste Erler dann doch irgendwann von der Pleite erzählen, weil ein Teil seines Gehalts am Zahltag sofort gepfändet wurde. Und wohin sollte die Lohnbuchhaltung nun den Rest überweisen? Keine Bankverbindung, kein Geld - so einfach ist das. Aber Herbert Erler hatte Glück: "Ich durfte das Konto eines Freundes mitbenutzen. Das Hantieren mit dem anderen Namen war zwar lästig, aber besser als nichts."

Eine Frage größten Vertrauens und sicher keine Lösung auf Dauer. Es muss doch eine andere Möglichkeit geben? Darüber dachte Sylke Schröder lange nach. Sie ist Vorstandsvorsitzende der Ethikbank in Eisenberg, einer 11.500-Einwohner-Stadt in Thüringen. Sie ist auf keinen Fall ein Gutmensch, wie sie sagt: "Aber eine Idealistin." Vor vier Jahren las sie in der Zeitung, dass sich immer mehr Menschen überschulden und mit einer Insolvenz ihre Geschäftsfähigkeit verlieren. Sie fragte sich: Wie geht es dann wohl weiter? Da kam ihr die Idee mit dem Mikrokonto, einem Girokonto für Schuldner. Seitdem ist Sylke Schröder, 43, für Menschen wie Herbert Erler so etwas wie eine Fortuna: Sie gibt ihnen eine zweite Chance, zumindest eine mit Kontonummer und Geldkarte.

Sie klickt sich durch ihre Mails, ihr Schreibtisch ist perfekt aufgeräumt. Seit die Ethikbank durch die Finanzkrise einen enormen Zulauf hat, muss Sylke Schröder viele Interviews geben: Wie kommt es, dass Ihr Haus noch vor einem Jahr gerade mal ein paar tausend Kunden hatte und jetzt schon über 8.000? Wie konnten Sie in so kurzer Zeit Ihren Unternehmenswert von 29 Millionen auf 35 Millionen Euro steigern? Sylke Schröder hat sich die Ethikbank ausgedacht und erst vor sieben Jahren als Ableger der Volksbank Eisenberg gegründet, sie ist eine moralische und ökologische Variante zum herkömmlichen deutschen Bankensystem, ähnlich wie die Umwelt- und die GLS-Bank: keine Geschäfte mit Waffenfirmen oder Unternehmen, die mit Atomkraft, genetisch veränderndem Saatgut und ozonzerstörenden Chemikalien arbeiten oder Kinderarbeit zulassen. Die Reporter wollen dann wissen: Was ist Ihr Geheimnis, Frau Schröder? "Zum Beispiel unser Mikrokonto", sagt die Bankerin. Ein Novum im bundesdeutschen Finanzgeschäft. Denn wer einmal tief in der Kreide stand, bekommt bei keiner anderen Bank mehr ein Konto. Mit dem Mikrokonto ist das jetzt anders. Dafür wurde die Ethikbank 2006 "Bank des Jahres".

Auch Manfred Walther hat seit einiger Zeit ein Mikrokonto. Dabei sieht er aus wie einer, der weiß, wie man schnell zu Geld kommt: Lederjacke, Sonnenbrille, gegeltes Haar, zu starke Gesichtsbräune. Er war mal Geschäftsführer eines Berliner Bauunternehmens mit 250 Mitarbeitern und vielen Aufträgen im Osten. Aber die Firma ging pleite und plötzlich saß Walther, 50, da mit einer halben Million Euro Schulden und einem Strafverfahren. Da tauchte er lieber ab. Auf Mallorca machte er sich ein paar "knackige Jahre", aber dann drückte das Heimweh. Kaum hatte er deutschen Boden betreten, wurde er festgenommen. Er bekam neun Monate Knast, und als er wieder draußen war, Hartz IV. Bevor er das Mikrokonto besaß, stand Walther am Monatsende immer in der langen Schlange am Postschalter, so wie alle anderen "Kontolosen". "Die haben ihre Barschecks vom Jobcenter eingelöst", sagt er. Auch er hat alle Überweisungen "mit der Hand gemacht": Schein ausgefüllt, Geld über den Tresen geschoben, fertig. Aber jedes Mal 1,90 Euro Gebühren. "Das läppert sich."

Was, wenn er sein Mikrokonto mal sprengt? "Wir haben strenge Auflagen", sagt Sylke Schröder. Das Konto darf nicht in die Miesen rutschen. "Wer dreimal überzieht, dem wird gekündigt", sagt die Bankerin. Von den 1.300 Mikrokonto-Inhabern schlagen nur etwa fünf Prozent über die Stränge. Klingt alles wie ein Märchen, und das mitten in der Krise. "Es ist eine Win-Win-Situation", sagt die Bankerin.

24.100 Personen insolvent

Und selbst das geht mit dem Mikrokonto: Gudrun Sommer ist nach Ungarn gezogen. Dort wohnt die Personalberaterin aus München im Gartenhäuschen von Freunden. Durch eine Privatinsolvenz verlor die 55-Jährige ihre Eigentumswohnung und schlief fast drei Jahre lang mal da, mal dort. Von Budapest aus versucht sie, "einigermaßen zu arbeiten und wieder auf die Beine zu kommen". Sie sagt: "Das Mikrokonto ist ein Anfang."

Gerade hat das Statistische Bundesamt bekannt gegeben, dass im ersten Quartal dieses Jahres 24.100 Personen und 7.712 Unternehmen Insolvenz angemeldet haben. Experten erwarten durch die Krise für 2009 eine regelrechte Überschuldungswelle. Auf Sylke Schröder und die Ethikbank wartet sicher viel Arbeit in nächster Zeit.

* Alle Namen von Schuldnern geändert

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.