Zertifikate sollen Image retten: Vergoldeter Raps

Tank vs. Teller hieß es 2007, denn die Preise für Mais und Co. stiegen. Biokraftstoffe galten plötzlich als unkorrekt. Jetzt soll das Vertrauen mit Zertifikaten zurückgewonnen werden.

Gold im Tank: Raps. Bild: Ben Matthews - Lizenz: CC-BY-SA

Kaum eine Branche schaut so gespannt auf die ersten Schritte der neuen Bundesregierung wie die Biokraftstoffbranche. Für die hiesigen Produzenten von Diesel aus Pflanzen – meist Raps – geht es nämlich, so rufen sie laut, ums Überleben.

Die Biodieselanlagen sind derzeit im Schnitt nur noch zu rund 60 Prozent ausgelastet. Von 49 Biodieselherstellern, die Anfang des Jahres noch existierten, haben inzwischen 16 ihre Arbeit eingestellt, 3 sind insolvent und 6 arbeiten eingeschränkt. "Die übrigen 24 Firmen produzieren – ob profitabel oder nicht, sei dahingestellt", sagt Elmar Baumann, Geschäftsführer des Verbandes der Biokraftstoffe. Viele würden nur versuchen, sich am Markt zu halten.

Unter der rot-grünen Koalition als klimafreundliche Alternative zu Kraftstoffen aus Erdöl mit Steuerbefreiungen gefördert, fiel die Industrie bald in Ungnade. Ökologen und Umweltschutzverbände zweifelten das Potenzial von Pflanzendiesel als Biotreibstoff an. Sie forderten erfolgreich, die Steuerbegünstigung zu streichen. Stattdessen mussten die Mineralölkonzerne ihrem Diesel und Benzin bestimmte Mengen von Pflanzentreibstoffen beimischen.

Als 2007 die Preise für Weizen, Mais und Reis in die Höhe schossen und als Nahrungsmittel in den armen Ländern nicht mehr bezahlbar waren, stritt die Öffentlichkeit in der "Tank-versus-Teller"-Debatte, ob es sinnvoll sei, essbares Getreide in den Fahrzeugtank zu schütten. Ergebnis: Mitte dieses Jahres wurden die Beimischungsquoten zunächst eingefroren, künftig steigen sie langsamer als geplant.

Die Folgen für die deutsche Biodieselindustrie, die erst künstlich aufgebaut, dann aber wieder geschrumpfte wurde: Der Markt für reinen Biodiesel, den sogenannten B 100, den Spediteure und Landwirte getankt hatten, ist in Deutschland zusammengebrochen. "Als Besitzer von Biokraftstoffanlagen fliegen sie heute schneller aus der Bank, als sie gucken können", klagt Branchenvertreter Baumann.

Arbeit für den Osten

3,8 Milliarden Euro hat die Branche laut Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) im vergangenen Jahr umgesetzt, 25.200 Menschen beschäftigt – und das vor allem im ländlichen, strukturschwachen Raum. Viele Anlagen zur Biodieselherstellung stehen in Ostdeutschland. Die Nachfrage nach Raps oder Weizen schuf den von sinkenden Lebensmittelpreisen gebeutelten Landwirten neue Absatzmöglichkeiten.

Zumindest bis das Palmöl kam. Denn Shell, Aral und Co müssen ihrem Kraftstoff zwar einen pflanzlichen Anteil beimischen, doch ob auf Raps-, Soja- oder Palmölbasis, ist ihnen überlassen. "Gegenüber dem international organisierten und zum Teil subventionierten Markt für Palm- und insbesondere Sojaöl ist der heimische Raps-Biodiesel ohne Subventionen nicht konkurrenzfähig", sagt Klaus Henschel, Geschäftsführer der Biopetrol Industries, einer Aktiengesellschaft im Besitz eines Schweizer Konzerns.

Sie produziert in Rostock und in Schwarzheide im Süden Brandenburgs Biodiesel auf Rapsbasis. Die 50 Mitarbeiter am Standort nahe Dresden arbeiten seit einem Jahr kurz und produzieren nur noch einen Bruchteil ihrer Kapazitäten.

"Der B 100-Markt wird sich nur neu entwickeln können, wenn der Diesel gar nicht oder sehr niedrig besteuert wird", sagt Henschel. Außerdem müsse, wie in Baden-Württemberg vorgesehen, der Einsatz von Biodiesel im Heizöl unterstützt werden, um einen weiteren Absatzweg zu schaffen. "Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass die neue Regierung diese einfachen Zusammenhänge begreift", stöhnt Henschel.

Doch was im Koalitionsvertrag hoffnungsvoll klang, findet sich in den ersten Entscheidungen der Regierung nicht wieder. In der Arbeitsgrundlage von Union und FDP hatte es noch geheißen, sie wollten den Markt für reinen Biodiesel wieder beleben. In der Branche kursierte, die Regierung wolle die Steuern von derzeitigen 18 Cent pro Liter auf 10 Cent absenken.

Doch im Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das das Kabinett vergangene Woche beschlossen hat, verpflichtet sich Schwarz-Gelb nur, die Steuern bei 18 Cent zu belassen. "Das ist ein klarer stützender Impuls für die Branche", verkündete ein Sprecher des Finanzministeriums. "Das reicht nicht aus", urteilt Henschel.

Die Anlagenbetreiber könnten aber nun ausgerechnet nicht von den üblichen Verbündeten im Landwirtschafts- und Wirtschaftsministerium Unterstützung erhalten, sondern aus dem Umweltministerium. Federführend entstand dort – als Reaktion auf die Diskussionen über Umwelt- und Sozialverträglichkeit der Biokraftstoffe – die "Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung".

Zwar sieht die Union zur Förderung von Öl- und Proteinpflanzen (Ufop), ein von Bauernverband und Pflanzenzüchterverbänden gegründeter Interessenverband, schon wieder ein "bürokratisches Monster" entstehen, der seine Kosten an die Landwirte weiterreichen würde. "Die Verordnung ist so nicht umsetzbar und daher rigoros abzulehnen", poltert Ufop-Vorstand Klaus Kliem.

Dabei ist die Nachhaltigkeitsverordnung, mit der Deutschland eine europäische Regelung vorwegnimmt, geeignet, der Branche das Überleben zu sichern. Lobby-Verbände wie die Agentur für Erneuerbare Energien oder die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe laden derzeit zu Veranstaltungen, in denen sie für die und mit der Verordnung werben.

Sie sorge nämlich dafür, dass die Pflanzenkraftstoffe das Vertrauen der Verbraucher und die Rückendeckung der Politik zurückgewönnen, sagt Norbert Schmitz vom Kölner Beratungsunternehmen Meó. Seit Jahren arbeitet Schmitz an dem Mammutprojekt mit Namen International Sustainability and Carbon Certification (ISCC). Dahinter verbirgt sich ein System, um den Ort und die Bedingungen nachvollziehen zu können, unter denen die Rohstoffe für Biokraftstoffe produziert wurden – ein Zertifizierungssystem für Agrarrohstoffe also.

Bislang ist es weltweit ohne Vorbild – und nicht ohne Kritiker. "Die Reduktion von Treibhausgasen von 35 Prozent ist viel zu niedrig", kritisiert Martin Hofstetter, Agrarexperte bei Greenpeace. Außerdem würden keine indirekten Landnutzungsänderungen berücksichtigt.

So würde etwa im Norden Argentiniens Urwald abgeholzt, um Agrarflächen zu gewinnen, weil auf den vorhandenen Flächen in Zentralargentinien immer mehr Soja und Mais für Biosprit angebaut würde.

Und überhaupt – auf Dauer hätten Nachhaltigkeitsstandards allein für Biosprit kaum Relevanz für den Markt, kritisiert Hofstetter. Nur wenn Futter- und Lebensmittel ebenso nachhaltig produziert würden, könne der Druck auf die Erzeuger so groß werden, dass der Raubbau beendet würde. "Davon sind wir aber noch weit entfernt", sagt Hofstetter.

Zertifikate für alle

Das sieht Andreas Schütte anders. Der Geschäftsführer der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) glaubt, dass die so gescholtenen Biokraftstoffe – Ironie der Geschichte – einen Prozess auslösen, in dem schließlich der nachhaltige Anbau jeglicher Biomasse vorgeschrieben sein werde. Das heißt, auch von solchem Palm- oder Sojaöl, das vor allem in der Lebensmittel- und der chemischen Industrie verarbeitet wird.

Schütte glaubt, dass es die internationalen Rohstoffhändler sein werden, die schließlich Druck auf die Produzenten ausüben. "Die Händler kaufen 100.000 Liter Palmöl, verschiffen es nach Rotterdam und entscheiden dann, an welche Branche sie es verkaufen", erklärt er. Für sie sei es nicht praktikabel, wenn bestimmte Marktsegmente durch Zertifizierungen belegt seien, andere aber nicht.

Letztlich nütze die Zertifizierung nur dann, wenn sie global und für alle Verwendungen gelte, nicht nur für Bioenergie, sagt Norbert Schmitz vom Beratungunternehmen Meó. "Sonst entsteht ein Premiummarkt für Bioenergie in Europa, und für den großen Rest der Welt geht der zerstörerische Anbau weiter."

Dass die Nachhaltigkeitsverordnung überhaupt so schnell wie vorgesehen greife, sei zweifelhaft, sagt Guido Reinhardt vom Heidelberger Ifeu-Institut. Sowohl die Kriterien als auch ihre Überprüfung seien noch in der Entwicklung. Generell sei es eine Frage des Standpunktes, "ob Sie Biodiesel für sinnvoll halten oder nicht".

Natürlich bedeute der Kraftstoff für eine Industrie und für die hiesige Landwirtschaft Einnahmen und Arbeitsplätze. Aus ökologischer Sicht sei als heimischer Biokraftstoff vor allem der Benzinersatz Ethanol aus Zuckerrüben zu empfehlen, gibt der Experte für die Ökobilanz von Nachwachsenden Rohstoffen zu bedenken. Allerdings haben hierzulande Politik und Landwirte vor allem auf Biodiesel gesetzt – und dessen Klimabilanz sei im Vergleich mit anderen Energieträgern nun einmal schlecht, sagt Reinhardt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.