FÜR EINEN RADIKALEN, INDIVIDUELLEN BEWUSSTSEINSWANDEL
: Wer sind wir – und wozu?

taz-Chefreporter und Autor von „Öko: Al Gore, der neue Kühl- schrank und ich“ Morgen: Claus Leggewie

PETER UNFRIED

Mein Bruder erzählt gern von engagierten Menschen, die seit Jahren bei Wind und Wetter gegen Atomkraft demonstrieren – und zu Hause Atom- und Kohlestrom vom Großkonzern beziehen. Dafür gibt es zwei Erklärungen: Es ist der übliche Nebenwiderspruch in einem komplizierten Leben. Oder die guten Leute gehen davon aus, dass der individuelle Wechsel zu Ökostrom vernachlässigbar sei. Weil sich der Klimawandel wie alles andere eh nach Überwindung des kapitalistischen Systems regelt. Hm.

Innerhalb dieser Spezies gibt es eine Subspezies, die besonders erbost reagiert, wenn sich andere erdreisten, sich auf den Weg zu einem verantwortungsbewussten Lebensstil zu machen. Die Sorge: Das bringt nichts. Und dann geilen die sich auch noch daran auf.

Es könnte sein, dass dahinter eine viel größere Sorge steht: dass es was bringt. Weil: Wo kommen wir denn da hin, wenn dieser unpolitische Bürgerpöbel mit Hilfe der Sozialwissenschaften die Sache in die Hand nimmt? Aber nicht, um das „System“ zu stürzen, sondern mit dem Ziel, neue, bisher für undenkbar gehaltene Allianzen in Gesellschaft, Wirtschaft, Politik zu formen – jenseits der mentalen Verhaftung im 20. Jahrhundert, der anachronistischen Gut-böse-Stereotypen und auch über die wohl illusionäre Hoffnung auf die Zukunftsperspektive einer „linken Mehrheit“ in Deutschland hinausgehend?

Das rührt tief an unsere individuelle und kulturelle Identität. Wer bin ich – und wozu? Und was bliebe, wenn die FDP gar nicht böse ist? Manchen passt die Klimascheiße auch grade ganz schlecht, weil sie einfach anderes zu tun haben oder objektiv andere – das sind noch stärker die Gegenwart betreffende – Sorgen. Manchem – mir zum Beispiel – kommt die Frage indes gelegen, weil er eh in lustvoller Suchbewegung ist nach dem individuellen und gesellschaftlichen Lebensglücksmodell, das das über- und verkommene westliche Selbstverständnis des 20. Jahrhunderts endlich ablöst. Nach einem transnationalen Politikverständnis, das die Fixierung auf deutsche Politiksimulation ablöst. Nach einem Elektroauto, das noch besser kommt und ist als mein Drei-Liter-Audi.

Es geht hier nicht um die Geringschätzung der Klimakonferenz von Kopenhagen. Es geht auch nicht um die Frage: grüner Verzicht oder grüner Konsum? Ein radikaler, individueller Bewusstseinswandel führt unweigerlich zu beidem: zu grünem Konsum, zu weniger Konsum. Und ein Bewusstseinswandel westlicher Gesellschaften ist die Grundlage von globaler Ordnungspolitik. Dieser Wandel kommt nicht aus Kopenhagen. Aber aus unseren Köpfen.

Es ist so: Ich will aus dem Ressourcenkrieg aussteigen, den wir gegen die eigenen Kinder führen. Und du willst es auch.