Taliban kennen keine Helfer mehr

TALIBAN-ANGRIFF Die Attacke auf die Ärzte und ihre Helfer ist ein Ausdruck einer Eskalation des Kriegs. Denn bislang haben die Taliban Hilfsorganisation stets geduldet

■  Der Mord an dem IAM-Hilfsteam war nicht der erste Vorfall dieser Art in Afghanistan. Im Jahr 2009 sind landesweit 19 afghanische Mitarbeiter von Hilfsorganisationen getötet worden. Im Jahr zuvor starben sechs internationale und 25 lokale Mitarbeiter. Fünf UN-Mitarbeiter wurden bei einem Angriff auf ein Gästehaus in Kabul ermordet.

■  Dieses Jahr war die Zahl der Angriffe durch Militante auf NGO-Mitarbeiter vor der Attacke vom vergangenen Donnerstag deutlich gesunken. Auch die Zahl der Entführungen war stark zurückgegangen. Entführte waren häufig nach sechs bis acht Tagen ohne Vorbedingungen freigelassen worden. Ein Taliban-Sprecher hatte erst kürzlich erklärt, die Taliban würden für die Sicherheit von Mitarbeitern von Hilfsorganisationen in ihren Gebieten garantieren, wenn sich diese zuvor mit ihnen in Verbindung setzten. (zas)

VON SASCHA ZASTIRAL

Die Leichen von zehn Mitarbeitern einer Hilfsorganisation, die vermutlich am Donnerstag im Grenzgebiet zwischen den Provinzen Badachschan und Nuristan ermordet wurden, wurden am Sonntag nach Kabul gebracht. Wie afghanische Medien berichteten, nahm die Polizei einen afghanischen Fahrer fest, der den Angriff gesehen hat und den die Angreifer ebenso wie einen weiteren Afghanen verschonten. Nun möchten die Behörden so schnell wie möglich die Umstände der Tat klären.

Am Freitag hatten Polizisten das ermordete Team der christlichen Hilfsorganisation International Assistance Mission (IAM) in einem Waldstück entdeckt. Unter den Toten ist offenbar auch eine Deutsche. Nach Angaben des Auswärtigen Amts vom Sonntag handelt es sich um eine 35-jährige Frau aus Sachsen. Mehr wurde zunächst nicht bekannt.

Zudem haben die Angreifer sechs US-Amerikaner, eine Britin und zwei Afghanen getötet. Die Gruppe, unter ihnen drei Ärzte, war vor zweieinhalb Wochen aufgebrochen, um Material für eine Klinik in ein entlegenes Tal zu bringen. Am Donnerstag war der Kontakt zum Hauptquartier der Organisation in Kabul abgebrochen.

Die Polizei erklärte zunächst, es handele sich offenbar um einen besonders brutalen Raubüberfall, denn die Täter hätten etliche Gegenstände mitgenommen, die ihre Opfer bei sich geführt hatten. Kurze Zeit später meldete sich jedoch ein Taliban-Sprecher zu Wort und bekannte sich zur Tat. „Gestern gegen acht Uhr hat eine unserer Patrouillen eine Gruppe von Ausländern konfrontiert. Sie waren christliche Missionare und wir haben sie alle getötet“, sagte er der Nachrichtenagentur AP. Bei den Getöteten seinen Bibeln in der Regionalsprache Dari gefunden worden. Sie hätten als „Spione“ für die ausländischen Truppen gearbeitet.

Dirk Frans, der Leiter der IAM, bestritt diesen Vorwurf vehement. „Wir sind Christen, aber wir arbeiten unter den Gesetzen Afghanistans. Und diese Gesetze erlauben es uns nicht, zu missionieren.“

Seine Organisation werde das Land, wo sie mit einer kurzen Unterbrechung seit 1966 tätig ist, nicht verlassen.

Die zunehmende Härte, mit der der Krieg in Afghanistan geführt wird, spiegelt sich auch in der Vorgehensweise der Taliban wider. An einige ihrer früheren Prinzipien scheinen sie sich nicht länger gebunden zu fühlen. So sind inzwischen Selbstmordanschläge durch Frauen und Kinder und systematische Morde an Stammesältesten an der Tagesordnung. Sollten die Taliban hinter der Attacke auf das IAM-Team stehen, würde auch das eine Abkehr von der gängigen Praxis bedeuten.

„Sie waren christliche Missionare und wir haben sie alle getötet“, sagte ein Taliban-Sprecher der Nachrichtenagentur AP

Denn bislang arbeiten zahlreiche Hilfsorganisationen sowohl auf von der Regierung kontrolliertem Gebiet als auch in Gegenden, die unter der Kontrolle der Aufständischen sind. Die Taliban haben bislang die Arbeit von Hilfsorganisationen geduldet. Seit Jahren gibt es eine Art stillschweigendes Abkommen, wonach die Taliban Hilfsteams auf ihrem Gebiet gewähren lassen. Diese kennzeichnen ihre Fahrzeuge daher deutlich, wenn sie in Taliban-Gebiete fahren.

Doch es mehren sich Berichte, wonach die Taliban nun auch in so entlegenen Gegenden wie Badachschan im äußersten Nordosten des Landes aktiv werden. In der Region an der Grenze zu Tadschikistan leben vorwiegend Tadschiken. Badachschan war eine der wenigen Provinzen, die vor dem Einmarsch der US-geführten Truppen Ende 2001 nie unter der Kontrolle der Taliban waren. Jedoch zeigen die sich häufenden Vorfälle in der nahe gelegenen Provinz Kundus, in der Soldaten der Bundeswehr stationiert sind, wie weit die Taliban ihr Einflussgebiet mittlerweile ausgeweitet haben.

Tom Little, der Leiter des ermordeten Teams, hatte offenbar den Begleitschutz der Polizei gebeten, das Team alleine weiterreisen zu lassen, als die Gruppe die Grenze zu Badachschan überquert hatte. Little kannte sich im Land sehr gut aus (s. Text unten).

Die britische Chirurgin Karen Woo, 36, eines der Opfer, hat erst kürzlich einem Bekannten über die bevorstehende Reise nach Badachschan geschrieben. „Die Expedition wird eine Menge physischer und mentaler Entschlossenheit verlangen und wird nicht ohne Risiko sein. Aber letzten Ende glaube ich, dass es fundamental wichtig ist, medizinische Versorgung bereitzustellen, und dass der Aufwand es wert ist, um denen zu helfen, die es am dringendsten brauchen.“