Omas billige Helferin

ALTE In Deutschland gibt es rund 120.000 Pflegehilfskräfte in Privathaushalten. Die meisten von ihnen arbeiten rund um die Uhr und bekommen miese Löhne

■ Zahl der Pflegebedürftigen: Experten gehen davon aus, dass die Zahl der Pflegebedürftigen von derzeit 2,4 Millionen bis zum Jahr 2030 auf 3,4 Millionen und bis 2050 sogar auf 4,5 Millionen ansteigen könnte. Einer der Hauptgründe ist die steigende Lebenserwartung.

■ Der Arbeitgeberverband Pflege erwartet, dass Deutschland bis 2020 in der Altenpflege 170.000 zusätzliche Pflegekräfte braucht, um dem demografischen Wandel Rechnung zu tragen. Umfragen zufolge möchten zwei Drittel der Deutschen im Alter zu Hause gepflegt werden. (hh)

VON EVA VÖLPEL

BERLIN taz | Die Stimme von Maria Nowak* klingt hell durchs Telefon. Die 38-jährige Polin ruft aus einem Dorf in Niederschlesien an. Bis vor Kurzem hat sie bei Hamburg in einem Privathaushalt eine 88 Jahre alte pflegebedürftige Dame betreut. Dann ist sie nach Polen zurück. „Ich musste an sieben Tagen in der Woche von halb acht morgens bis neun Uhr abends arbeiten. Selbst um meine Mittagspause gab es Streit“, sagt sie. Sie bekam für ihre Arbeit rund 800 Euro im Monat, dazu freie Kost und Logis.

Maria ist eine von geschätzt 120.000 Personen, die in Deutschland Familien die oftmals traurige Entscheidung ersparen, Väter, Mütter, Tanten oder Onkel in ein Heim zu geben. Es sind vor allem Osteuropäerinnen, die Tag und Nacht unter einem Dach mit den alten Menschen wohnen, sie zur Toilette führen, waschen und ankleiden. Experten sprechen von einem „grauen Pflegemarkt“, weil die unsichtbaren Arbeitskräfte zwar fast immer legal hier, die Arbeitsbedingungen hinter privaten Türen aber unkontrollierbar sind.

Viele Pflegekräfte würden ausgenutzt, sagt Sylwia Timm: „Durchstöbern sie polnische Internetforen, stoßen sie auf eine regelrechte Klagemauer der Frauen“, sagt die 38-Jährige, die beim Projekt „Faire Mobilität“ des Deutschen Gewerkschaftsbunds in Berlin arbeitet und das Gespräch nach Polen übersetzt. Timm berät im Monat rund zehn Osteuropäerinnen. „Die Frauen wissen nicht mehr weiter. Sie sollen rund um die Uhr verfügbar sein, bekommen aber manchmal nur 700 Euro im Monat.“

Maria pendelt seit drei Jahren zwischen Polen und Deutschland. Sie verdient hier mehr als als Sekretärin in Polen. Wenn sie in Deutschland ist, meist zwei Monate am Stück, kümmern sich zu Hause ihr Exmann oder ihre Mutter um die 15-jährige Tochter. „Zum Glück versteht sie, dass ich Geld verdienen muss.“

Das letzte Mal sollte Maria sich nicht nur, wie vertraglich vereinbart, um die 88-jährige Dame kümmern, die im Haus ihrer Tochter wohnte. Sie sollte auch den Rest der Familie bedienen: die Tochter, deren Mann, dazu an den Wochenenden zwei Söhne der 88-Jährigen und deren Kinder. „Die Familie hat erwartet, dass ich sie bekoche, alles allein aufräume, für jeden putze.“ Nur mit der 88-Jährigen gab es keine Probleme. „Sie war eine warme Person mit großem Herz“, sagt Maria. Sie half ihr beim An- und Ausziehen, cremte sie ein, ging mit ihr spazieren, gab ihr Medikamente und Essen. Bis Maria nicht mehr konnte.

„Ich habe ihr geraten, zu kündigen“, erzählt Timm. Mehr kann sie meist nicht tun. „Wir können ja nicht in die Häuser rein und dort kontrollieren.“ Also sensibilisiert sie die Öffentlichkeit für das Thema, bestärkt die Frauen darin, sich nicht alles gefallen zu lassen. „Viele haben sogar ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht mehr können.“

Für Pflegehilfskräfte aus Osteuropa gibt es ein kompliziertes Geflecht an Regelungen. Meist haben die Frauen keinen Anspruch auf den Mindestlohn von 7,75 Euro (Ost) oder 8,75 Euro (West). Auch die deutschen Arbeitszeitgesetze gelten für sie nicht (siehe Texte unten). Doch selbst wenn der Mindestlohn greift – wer sollte kontrollieren, ob er bezahlt wird?

Trotzdem würde Margret Steffen, Gewerkschafterin und Pflegeexpertin bei Ver.di, den Familien keine Kontrolleure ins Haus schicken. „Ich halte nichts davon, die Familien zu diffamieren. Sie wollen ihre Eltern nicht ins Heim geben, haben aber auch kein Vermögen zur Hand“, sagt Steffen.

Sie setzt auf die Professionalisierung des Marktes. „Nur wenn wir die Beschäftigten qualifizieren, können wir sie an ordentliche Arbeitsverhältnisse heranführen.“ Österreich hat diesen Weg gewählt. Dort gibt es die Ausbildung zur Personenbetreuerin, der Staat subventioniert die Sozialabgaben für Pflegehaushaltshilfen, wenn die Familien offizielle Arbeitsverhältnisse bieten. „So sind rund ein Drittel der 60.000 Pflegehilfskräfte sichtbar geworden“, sagt Steffen. Das sei immerhin etwas.

Aber für ein selbstbestimmtes Leben im Alter müsse man die Pflege neu organisieren: „Wir müssen unsere Häuser öffnen, uns gegenseitig helfen, und es muss neue, vernetzte Dienstleistungsangebote geben“, sagt Steffen. Bis dahin, das weiß sie, ist es allerdings noch ein weiter Weg.

*Name von der Redaktion geändert