LONG PLAYING RECORD Jukebox - Der musikalische Aszendent

Schaltkreise oder Luftaufnahmen?

Mit dem Cover fing’s schon an. Sind das nun stilisierte Luftaufnahmen einer archäologischen Ausgrabung, vielleicht gar ein Landeplatz Außerirdischer, geliehen von Erich von Däniken? Oder womöglich gar Schaltkreise? Wie auch immer: Für eine Band, die bis dahin vor allem als hingebungsvoller Dinosaur-jr.-Epigone von sich reden gemacht hatte, sah es seltsam aus. Und „Shrink“ hörte sich dann sogar noch seltsamer an: Man schrieb das Jahr 1998 und der überzeugte Indie-Rock-Fan wurde von seiner damaligen deutschen Lieblingsband auf den Tanzboden entführt. Mit der Ankunft von Matthias Gretschman in der Band, der als Console sonst Knuspertracks am Computer entwarf und als DJ arbeitete, hielt die Moderne Einzug in Weilheim. Die Gebrüder Acher, kreativer Mittelpunkt des kleinen oberbayerischen Städtchens, spielten nun nicht mehr nur in der örtlichen Blaskapelle und im verspielten Jazz-Projekt Tied & Tickled Trio, sondern hatten ihre Gitarrenrockband vom Kumpel Gretschmann nun auch noch zum Zentrum der Moderne umbauen lassen. Später gingen einzelne Notwist-Mitglieder mit zahlreichen Nebenprojekten, darunter Lali Puna, Ms. John Soda oder 13&God, sogar noch weiter Richtung Elektronik. The Notwist selbst gelang mit dem lange vier Jahre später folgenden Album „Neon Golden“ der endgültige Durchbruch ins Feuilleton und ein erstaunlicher kommerzieller Erfolg.

Heute verschafft sich der Connaisseur Distinktionsgewinn gerne mit der Behauptung, „Shrink“ sei nicht nur der Prototyp, sondern sowieso auch eh die bessere Platte. Und es stimmt: The Notwist hätten schon für „Shrink“ all die Lobeshymnen verdient gehabt, die sie dann für „Neon Golden“ einfuhren. Das allerdings vor allem für die Leistung, dem damals doch noch recht theoretisch gehandelten Schlagwort vom Data Pop eine erste wirklich gut verdauliche Form gegeben zu haben. Nun jammerte Markus Acher wie Neil Young, aber unter den Gitarren lagen Samples, mit dem Schlagzeug konkurrierten elektronische Beats, und Jazz irrte auch noch ein bisserl durch die Gegend. Es klang klasse. Songs allerdings, die im Gedächtnis blieben, gibt es nur drei, bestenfalls vier auf „Shrink“. Keine schlechte Quote, aber mit durchgehend gutem Songwriting führte erst „Neon Golden“ das mit „Shrink“ neu begründete Genre zu seiner vollen Blüte. THOMAS WINKLER