IN DER SCHAUBÜHNE
: Große Erwartungen

Ausnahmsweise fügt er sich in sein Schicksal

Auf in die Schaubühne! Schaubühne? Fup sieht mich fragend an. Da spricht Michael Hardt über die Liebe als politisches Konzept, sage ich. Fup sieht mich entgeistert an. Ist nicht schlimm, beruhige ich ihn, denn er ist erst sieben Monate alt und man muss ihm alles erklären. Ausnahmsweise fügt er sich in sein Schicksal, was er nicht immer tut, denn schließlich ist er nach einem literarischen Vorbild benannt worden, einer störrischen Ente, die in einem eheähnlichen Verhältnis mit einem Whiskey trinkenden Hundertjährigen lebt.

In der Schaubühne treffe ich einen Eintracht-Fan, der immer noch ganz trunken ist vom historischen Sieg seiner Mannschaft über die Bayern tags zuvor. Die anderen sind sehr ernst und erwartungsschwanger. Der „Streitraum“ der Schaubühne ist dunkel. Fup sitzt auf meinem Knie und beobachtet Michael Hardt. Fup hat seine Astronautenmütze auf. Nach fünf Minuten, in denen es immer noch nicht um die Liebe als politisches Konzept geht, fängt Fup an sich zu beschweren. Michael Hardt lässt sich dadurch nicht beirren. Ich schon. Ich gehe in das Schaubühnencafé. Dort trifft sich das alte Berlin, um Gemüsesuppe zu löffeln. Auch Herr Shakespeare & Company, allerdings ohne Company, sitzt in braunem Breitcord hier. Er hat die Arme ausgebreitet und hält so den Tagesspiegel. Ich bin beeindruckt, denn ich dachte, Leute, die so die Zeitung halten, seien ausgestorben. Ein kurzsichtiger Bettler humpelt zwischen den Tischen und hält sich die geschnorrten Münzen direkt vors Auge. Ein deprimierter Altkommunist mit Jeansjacke, auf die jeder Hell’s Angel neidisch wäre, verlässt mit wehendem Haar die Veranstaltung. Nach zweieinhalb Stunden ist Michael Hardt fertig. Auch die Leute sehen fertig aus. Es scheint niemanden zu geben, der mit ihm einverstanden wäre. Ist die Liebe als politisches Konzept gescheitert?, frage ich mich. Fup strahlt mich an.

KLAUS BITTERMANN