Vom Mädchen zur Frau

„Frau Merkel“ wird es schon richten: Die erste deutsche Bundeskanzlerin soll vor allem den Widerspruch zwischen „Frau“ und „höchstes politisches Amt“ auflösen. Erst dann wird sie „Merkel“

VON SUSANNE LANG

Deutschland regierbar gemacht, die EU gerettet. Stoiber ausgeschaltet. Chirac, Blair, einen kleinen knubbeligen polnischen Präsidenten, Bush, Putin – alle auf Augenhöhe getroffen. Es läuft gut für sie. Richtig gut. Die erste deutsche Bundeskanzlerin interessiert die Öffentlichkeit vor allem ihrer Erfolge wegen. Keine „Kann die Frau das?“-Debatte. Keine Frauen-pro-Frau-Initiativen mehr, die sie bei ihrer Amtsausübung unterstützen müssen. Ja, so schön nüchtern-pragmatisch könnte die Bilanz der Kanzlerin Angela Merkel aussehen – wenn man die Untertöne im medial vermittelten Bild ausblenden könnte.

Das liest und betrachtet sich dann so: Staatsbesuch bei Wladimir Putin, Merkel bekommt einen Plüschhund geschenkt, weil sie als Mädchen von einem Hund gebissen wurde und ihre Angst überwinden solle (Bild wusste es). Das juvenil gerelaunchte ARD-Nachtmagazin fragt sich dagegen besorgt, wie Angela Merkel die Sauna-Freundschaft ihrer Vorgänger-Männer-Kanzler bloß fortsetzen könnte. Oder Staatsbesuch bei Jaques Chirac: einen Handkuss bekommen, aber wie es die ARD im Anschluss aufatmend attestierte, souverän „dem Charme widerstanden“. Nicht zu vergessen der Staatsbesuch bei George W. Bush, der ihr mal eben großzügig Intelligenz zusprach. Immerwährend berauschen sich dabei die Politjournalisten der traditionsbedachten Frankfurter Allgemeinen Zeitung seit dem Tag der Vereidigung von Angela Merkel an der „bella figura“, die „Frau Merkel“ auf der politischen Bühne mache – gerne auch, wie just gestern, unter der Fraktur-Überschrift „Die Emanzipierte“.

Nach gut der Hälfte der 100-Tage-Schonfrist von Merkel fügen sich die Bilder der bisherigen Regierungszeit eher in einen Telenovela-Plot: eine Frau zwar nicht mehr auf dem Weg zur Macht, aber immer noch eine Frau an der Macht. Titelmusik by Britney Spears „ not a girl, not yet a Kanzlerin“. Die schicksalhafte Prüfung wartet bestimmt, dann wird abgerechnet, nicht mit der Kanzlerin, sondern mit „Frau Merkel“.

Dabei dürfte es nach Jahrzehnten leidiger feministischer Sprachkämpfe kein Thema mehr sein, dass „Frau Merkel“ statt Bundeskanzlerin, Frau Bundeskanzlerin, Angela Merkel oder schlicht Merkel eine diskriminierende, weil geschlechtshervorhebende Anrede und Titulierung ist, die gleichwohl präsent ist. Der SPD-Europaabgeordnete Martin Schulz kommentiert im Spiegel den Erfolg der Kanzlerin auf dem EU-Gipfel mit der ausgefeilten Kreation: „Das war ein Abstaubertor von Frau Merkel.“ Und selbst Anne Will, „Tagesthemen“-Moderatorin, reflektiert die Politikerin in Form von „Frau Merkel“ (siehe taz vom 5. 1.).

Angela Merkels Wert als erstes Kanzlerin-Rolemodel bemisst sich wohl doch immer noch daran, ob sie den Widerspruch „Frau“ und „höchstes politisches Amt“ auflösen kann. Oder ob Edmund Stoiber am Ende doch noch über die „Staatsfrau“ siegen wird. Er war es schließlich, der die Anrede „Frau Merkel“ salonfähig gemacht hat: „äh, Frau Christiansen“.