Lohnt sich die Wende im Fernsehen?: Geschichte erzählt sich selbst

Am Sonntag zeigt das ZDF "Das Wunder von Berlin". Ein Film, der die deutsche Wendegeschichte opulent aufbereitet - und auf die Tränendrüse drückt. Muss man das sehen? Zwei Zugänge.

Filmszene Mauereröffnung 1989 Bild: zdf

UNBEDINGT

meint Steffen Grimberg

Kann man einen Film gut finden, für den die Bild-Zeitung seit einer Woche täglich wirbt? Man kann. "Das Wunder von Berlin" ist Hochglanz-TV, Eventfernsehen aus der Eventschmiede von Produzent Nico Hofmann und Regisseur Roland Suso Richter ("Der Tunnel"/"Dresden") - und gehört schon jetzt zu dem Besten, was über uns spätestens nächstes Jahr zur offiziellen 20. Wiederkehr des Mauerfalls hereinbricht.

Zu dem Besten? Na ja, auf jeden Fall zu dem Besseren. Denn anders als im "Tunnel" (guter Westen buddelt gegen bösen Osten) und bei "Dresden" (korrupte Nazis und strahlende Krankenschwester) ist hier die eigentlich zu erzählende Geschichte nicht durch einen reißerisch-fernsehabendunterhaltenden Kunst-Handlungsstrang verdeckt. Hier erzählt die Geschichte tatsächlich einmal ganz überwiegend sich selbst. Die zum guten Teil auf realen Ereignissen beruhende Geschichte von Tilo Koch, der im Film Marco Kaiser heißt. Der lehnt sich gegen die Spießigkeit der Arrivierten in der bereits dem Untergang geweihten DDR auf und schreibt Punk-Texte weniger, um das System zu stürzen, als dem von sich frustrierten Stasi-Vater eins auszuwischen. Dies, die Liebesgeschichte mit der Krankenschwester Anja und das unterschiedliche Hereingleiten der Protagonisten in den Sog der Ereignisse ab Herbst 1988, ist dabei nicht, wie kürzlich im ARD-Film "Die Frau vom Checkpoint Charly" mit der Arroganz der westbundesdeutschen Überheblichkeit und, sagen wir es ruhig so offen, Siegermentalität, erzählt. Sondern differenziert, aus sich heraus. Denn so war die Zeit: voll von Brüchen, Absurditäten, hanebüchenen Zufällen und Mentalitäten, die man einem schlichten Stück Fiktion heute wohl kaum abnehmen dürfte.

Die Konklusion des Films - ja, gut: zu dick aufgetragen mit einem beruhigt zur Grenzöffnung dahinscheidenden Großvater als weisem Narren - ergibt sich von selbst: in den grobkörnigen Aufnahmen aus den Archiven von jener Berliner Nacht, als die Mauer plötzlich weg war. Selbst die in Nico-Hofmann-Produktionen ja quasi stilbildende Dreiecksgeschichte wird behutsam und nachvollziehbar bei den Älteren abgeladen, während Marco und Anja einfach verliebt sein dürfen, was bekanntermaßen schon schwierig genug ist.

Und wenn dann noch der Satz aus Plenzdorfs "Legende von Paul und Paula" fällt ("Wir lassen es dauern, solange es dauert. Wir tun nichts dafür und nichts dagegen"), ist das nicht nur ein bisschen kitschig, sondern auch eine Erinnerung an das, was seitdem alles anders gekommen ist, als sich viele dies im Herbst 1989 erträumt hatten. Vielleicht ist das die bemerkenswerteste Erkenntnis des "Wunders von Berlin": wie sehr der Film berührt, weil er das eigene Leben berührt.

KANN MAN VERSCHLAFEN

meint David Denk

Als Opa Kaiser stirbt, ist auch der Film am Ende. Denn Opa Kaiser stirbt nicht irgendwie und erst recht nicht irgendwann, denn schließlich ist dies hier "Das Wunder von Berlin", eine Teamworx-Produktion des "Dresden"-bewährten Regisseurs Roland Suso Richter. Opa Kaiser stirbt - oder treffender: haucht sein Leben aus, just in dem Moment, als er seinen Enkel Marco und dessen Freundin Anja im Fernsehen sieht, eng umschlungen, schwer verliebt. Es ist der 9. November 1989. Hinter Marco und Anja tanzen Menschen auf der Berliner Mauer. Opa ist tot, das Leben geht weiter. Am liebsten wäre ich schreiend aus dem Kino gerannt. Schreiend vor Wut und Schmerzen.

Nun also die Wende. Damit hat Produzent Nico Hofmann auch den letzten vakanten Gänsehaut-Moment der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts zum TV-Event weichgeklopft. Einen Anlass gibt es zwar nicht, aber wer braucht den schon zum Märchenerzählen? Ja ja, werden jetzt ein paar ganz Schlaue einwenden, "Das Wunder von Berlin" basiert doch auf den Erinnerungen des Chemnitzers Tilo Koch, und dann werden sie noch fragen, ob man denn all die liebevollen Zitate aus deutsch-deutschen Filmen gar nicht bemerkt hat: "Die Legende von Paul und Paula", "Good Bye, Lenin!"? Nö, hab ich nicht. Als käme es darauf an! Zitate sind doch Beiwerk, Bonusmaterial. Sie machen keinen guten Film aus einem schlechten. Und "Das Wunder von Berlin" ist ein schlechter Film.

Das Traurige daran ist, dass "Das Wunder von Berlin" gar nicht mal so weit davon entfernt ist, ein ganz passabler Film zu sein, gerade richtig für einen nasskalten Sonntagabend. Nur leider tischt der Film dem Zuschauer unablässig ärgerliche Kleinigkeiten auf und zwingt ihn, sie zu schlucken, bis - nun ja, das können Sie sich vielleicht denken…

Für Regisseur Roland Suso Richter ist "Das Wunder von Berlin" laut Presseheft "ein schnell erzählter Ensemblefilm, dicht an den Figuren". Und schon wieder beschleicht mich das Gefühl, einen ganz anderen Film gesehen zu haben als all die Leute, die nach der Premiere von "Das Wunder von Berlin" branchenüberdurchschnittlich aus dem Häuschen waren. Gestört hat mich vor allem, dass mir die meisten Figuren völlig gleichgültig waren und ich ihre Entwicklung überhaupt nicht nachvollziehen konnte: etwa wie Marco sich vom Punk zum linientreuen NVA-Soldaten wandeln konnte - nur weil er dort endlich eine Vaterfigur gefunden hat, zu der er aufschauen kann. Derlei Küchenpsychologie beleidigt meinen Verstand.

Als die Mauer gefallen ist, war ich acht und lag schon im Bett. Rückblickend wäre das auch für den Abend der Premiere die bessere Wahl gewesen.

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