Portrait Peter Sodann: Kein Guter, kein Doofer

"Darf ich weiterspinnen?", fragt Peter Sodann, Schauspieler und Kandidat der Linken für das Bundespräsidentenamt. Und dann spinnt er weiter. Was den Politpunk aus Neigung im Innersten zusammenhält.

"Ich krieg die Bronzemedaille", beschreibt Peter Sodann seine unausweichliche Niederlage bei der Bundespräsidentenwahl gegen Gesine Schwan und Amtinhaber Köhler. Bild: dpa

Gibt es irgendwelche Kriterien für diesen Job? Strenge Richtlinien, laut denen ein Bundespräsident größer als einssiebzig zu sein hat? Muss er - oder sie - akademische Titel vorweisen können? Parteimitgliedschaften? Wird Humorlosigkeit vorausgesetzt? Gälte ein Verbot bequemer Wolljacketts? Wäre dem so - Peter Sodann müsste sich trollen. Der kleine ältere Herr aus Sachsen aber denkt gar nicht daran, sich in Luft aufzulösen. Im Gegenteil, Peter Sodann, 72, Schauspieler und Kandidat der Linkspartei für das Amt des Bundespräsidenten, ist präsent wie stets und von ausgeprägtem Selbstbewusstsein.

Ortstermin. Sechs Uhr abends im Kulturforum, einem Zweckbau in Berlin-Hellersdorf. Die Bockwurst kostet einen Euro, Schmalzstulle mit Gürkchen sagenhafte zehn Cent. Im rappelvollen Saal ist viel graues Haar zu sehen, Bequemschuhe und Windjacken, um diese Uhrzeit haben Menschen unter fünfzig noch Jobs und Kinder. Am Eingang werden neben Sodanns Autobiografie "Keine halben Sachen" auch "Fidel Castro - Mein Leben" und der Prachtband "FKK in der DDR" verkauft.

Der Herr Kandidat ist von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau eingeladen worden. Hier in Marzahn-Hellersdorf, östlichstes Ostberlin, leben jene Menschen, die es freut, dass einer wie Peter Sodann den Politclown für die Linkspartei macht - also irgendwie auch für sie. Auch für Petra Pau ist es ein Heimspiel. Bei der letzten Bundestagswahl hat die Frau mit dem markanten Kurzhaarschnitt hier im Bezirk 43 Prozent der Erststimmen geholt.

Die Fragestunde beginnt pünktlich. Der Gast aus Halle an der Saale hat sie voll drauf, diese Mischung aus Gefühlsmensch, mürrischem "Tatort"-Kommissar und meinungsstarkem Ost-Rentner. Er hat sehr einfache, sehr griffige Formulierungen parat auf jene Fragen, die eine zusehends verzweifeltere Moderatorin ihm stellt. Er verteilt Satzstanzen, dutzendfach gesagt und gesendet, vorgetragen in weichem Kultursächsisch.

Welche Grundwerte er vertrete? "Sagen, was man denkt."

Wie sich die Würde des Bundespräsidentenamtes mit seiner Auffassung von Humor decke? "In trauriger Ernsthaftigkeit kann man sich doch nicht unterhalten."

Wo die Defizite der Demokratie lägen? "Es gibt 80.000 arme Kinder in Sachsen-Anhalt, das sagt doch alles."

Und dies sind die direkten Antworten. Hakt die Moderatorin nach, versucht Sodann es zuerst einmal mit einer sachlichen Antwort, kommt aber nie weit. Er bricht dann ab und fragt: "Darf ich weiterspinnen?" Und dann spinnt er weiter. Wäre er nicht Jahrgang 1936 und ostdeutsch sozialisiert, könnte man seine Sicht auf die Welt Punk nennen.

In den mitgezählten 23 Witzen, Gedichten, Anekdoten, Zoten und Reimen, die der Gast binnen anderthalb Stunden erzählt, erhält das Publikum einen tiefen Einblick in die Denk- und Lebenswelt des Peter Sodann. Die scheint, nun ja, übersichtlich zu sein. Irgendwann zur Pause hin beginnt man sich fremdzuschämen. Nicht zu fassen, mit welch heiliger Einfalt der Mann all dies zum besten gibt. Liegt hier das grundsätzliche Missverständnis - ist Peter Sodann ein Guter, aber auch ein Doofer?

Weder noch. Und genau das ist sein Trick. Er ist ein 72 Jahre alter Mann, der es in der Zielgeraden seines bewegten Lebens unbedingt noch einmal wissen will. Der Spaß daran hat, andere zu provozieren. Dem es eine Freude ist, die durch ihn ausgelöste Empörung stoisch auszuhalten. Der bereit ist, sich als Universalostler aufbauen und anschließend öffentlich wieder einreißen zu lassen. Der die Häme der Kommentatoren und Feuilletonisten erträgt und sich über sein Scheitern zu jedem Zeitpunkt im Klaren ist.

Denn er muss ja gewusst haben, was passieren würde ab dem Tag seiner Nominierung durch die Linkspartei. Es musste ihm wohl niemand erklären, dass er chancenlos ist gegen Amtsinhaber Horst Köhler, auch gegen dessen SPD-Herausforderin Gesine Schwan. "Ich krieg die Bronzemedaille", beschreibt er seine unausweichliche Niederlage. Er hat mindestens geahnt, dass selbst sein guter Ruf als "Tatort"-Schauspieler ihn ab jetzt nicht mehr schützen würde. Und weil er das wusste, machte er sich innerlich ganz fest und schürte den Skandal doch lieber gleich selbst.

Deshalb setzte an jenem sonnigen 14. Oktober in Berlin, auf der Fraktionsebene der Linkspartei, der Kabarettist, Schauspieler, Exintendant und frisch nominierte Bundespräsidenten-Kandidat Peter Sodann zuallererst mal einen schönen, dicken medialen Kontrapunkt. Von den Journalisten nach seinen Visionen für das höchste Amt der Bundesrepublik gefragt, erzählte er jene legendäre Anekdote, die seither kolportiert wird und als Beleg für seine Stillosigkeit herhält.

Jeden Tag nämlich, gab der Kandidat da vor laufenden Kameras zum Besten, pflege er auf dem Klo ein Kreuzworträtsel zu lösen - "weil ich jeden Morgen zwei Erfolgserlebnisse haben will". Da also, auf dem Pott, sei er auf die Frage "Vision mit sechs Buchstaben" gestoßen. "Utopie" wäre die korrekte Antwort. Und so begann der Rentner Peter Sodann sich so seine Gedanken über das Fehlen politischer Utopien in Deutschland zu machen …

Eine Pointe hatte die Geschichte nicht. Sie war Scham-lose Provokation.

"Ja, dafür waren sie sehr böse mit mir", erzählt er nach der Veranstaltung in Berlin-Hellersdorf beim Bier, "sie sagen, das sei doch keine Präsidialsprache." Kalkül? "Warum sollte ich das tun? Ich werde doch nicht gewählt", sagt er und schaut treuherzig.

Kaum zu glauben, in seinem fortgeschrittenen Alter habe Peter Sodann nicht gewusst, was er mit dieser Klo-Geschichte auslösen würde. Welche Herablassung, welche Empörung. Aber auf seine nervige Kleiner-Mann-macht-nur-Spaß-Art liegt er seit jeher permanent quer zu den Verhältnissen. Und er bewirkt damit auch eine Menge. Anders ist kaum zu erklären, dass er es zu Zeiten der DDR-Mangelwirtschaft geschafft hat, in Halle eine eigene Bühne - das neue theater - aufzubauen (und aufbauen meint hier tatsächlich Bauen). Dass er durchgesetzt hat, dass die "Tatort"-Drehbuchautoren 45 Folgen lang seinen Kommissar Bruno Ehrlicher auf Sodannsche Art vor sich haben hinbrummeln und -wurschteln lassen. Dass er es fertig bringt, sich keine Opferbiografie zu stricken, obwohl er allen Grund dazu hätte, immerhin hat die Stasi ihn jahrzehntelang bespitzelt.

Aber rechtfertigt dies Sodanns sportlichen Humor, seine Art, das Amt des Bundespräsidenten mit einer kalauernden Weltsicht, einem schlichten Reicher-Mann-und-armer-Mann-Schema in Verbindung zu bringen? Der Gedanke liegt nahe, dass er sich nicht allzu viel bei seinem "Ja" gedacht hat, als Gregor Gysi ihn in einem Hallenser Café fragte, ob er für die Linkspartei den Buprä-Kandidaten machen wolle. Für eine Partei, deren Mitglied er nicht einmal ist. Hört man Sodanns Antwort auf die Frage, warum er sich diese Ochsentour antue, scheint sie wieder durch, die pure Lust an der Provokation: "Ich war ja noch nie Präsident", sagt er, "ich dachte, bevor du stirbst, kannste das doch auch noch machen." Ist das ein Grund? In Peter Sodanns Fall schon.

Neben vielen Brüchen in seiner Biografie gibt es diese eine Grunderfahrung, die ihn so lebenshungrig und eben auch naiv fahrlässig hat werden lassen: den Krieg. In seiner Autobiografie schildert Peter Sodann, wie sein Vater mit 44 Jahren an die Ostfront eingezogen wurde. "Ich bin bald wieder da", sagte er auf dem Bahnhof, nur wenige Monate später war Willy Sodann tot. Seinen Sohn Peter traf die Erkenntnis, dass nichts währt, dass alles abrupt enden kann und dass man in seinem Leben jede Erfahrung mitnehmen sollte, mit acht Jahren.

Auf sein stets pathetisch vorgetragenes Friedens-Mantra angesprochen, schluckt Peter Sodann. Ihm stehen jetzt Tränen in den Augen. "Das kann ich Ihnen erklären", sagt er, "das ist, weil mein Vater gefallen ist. Ich habe gesehen, wie meine Mutter bei der Nachricht umgefallen ist. Ich habe gesehen, wie die Väter der anderen Kinder wiederkamen, und ich hatte keinen. Vielleicht bin ich auch ein zu sentimentaler Hund. Das kann sein. Das ist ja etwas, was gar keiner glaubt, was gar keiner weiß."

Wäre emotionale Kompetenz ein Kriterium für das Amt des Bundespräsidenten - Peter Sodann sollte kandidieren. Aber das tut er ja bereits.

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