Die Adventgeschichte, die letzte: Weil das Licht so doof ist

Für seine Verächter ist Weihnachten pure Dunkelheit - toll findet das der Autor unserer Adventsgeschichte.

Weihnachten kann ganz schön kitschig sein. Bild: ap

Oft hatte ich mir gesagt, dass ich den Dezember nicht mag, aber das stimmt gar nicht. Es war nur immer dunkler geworden von diesem westlich dekadenten Machwerk. Die anderen waren auch nicht so den. Man weiß das natürlich, es ist einem bekannt, dass die Nacht immer länger wird, aber ist doch oft verwundert. Außerdem hatte ich mir angewöhnt, um die Privilegien meiner freien Existenz auszukosten - immer später ins Bett zu gehen und immer später aufzustehen.

Die Träume waren okay am Morgen. Im Traum trug jemand ein Towelie-T-Shirt. So leicht höhlenmäßig gestimmt, passte ich mich meinem winzigen Schlafzimmer an. Ich hatte wohl geschlafen, ich schaute auf die Uhr, eben war es acht, nun schon zwölf, vielleicht auch Samstag. Draußen war es im Grunde genommen immer noch dunkel. Ungeduscht ließ ich die Espressokanne arbeiten, während ich an meiner Bäckerei vorbeischlich, um in der übernächsten ein Schinken-Käse-Croissant zu holen.

Schokolade gabs nur vor zehn, wenn man selten früh aufsteht, ist es auch prima, morgens durch Nieselregen zu laufen, der sich eher feuchtwarm als feuchtkalt anfühlt, weil irgendwas in einem winterliche Temperaturen erwartet. Meine kleine Nichte muss oft um halb sechs aufstehen und genießt es dann umgekehrt.

Im Dezember schmeckt der Kaffee am Schreibtisch am besten. Es könnte aber auch Kakao sein am Nachmittag. "Kaffee ist was für Amateure", hatte der Nachbar von Kommissar Beck letzten Sonntag gesagt, man schreibt leicht pathetisch, "wie trist ist doch dieser Tag!", auch weil einem diese Tristesse eigentlich gefällt. Oder um dieser Tristesse zu gefallen, oder zumindest … Ach was!

Im Monitor sieht alles okay aus; nur draußen stimmt was nicht mit den Farben. Man sollte Kreuzberg im Dezember und besonders meine Wohnung halt neu kalibrieren! Ein Fachmann ist gefragt! Vielleicht auch auf Schwarzweißmonitore umsteigen.

Keine Ahnung.

Manchmal ging ich nur raus, um etwas zu fotografieren, an dem ich ohne Fotoapparat vorbeigegangen war. Das Schild an dieser Spielhalle zwei Straßen weiter zum Beispiel, auf dem stand: "Bei Fragen, jeglicher Bemerkungen über Drogen wird sofort bei der Polizei angezeigt." Oder diesen riesigen Vogel, der auf einem Baum auf dem Mittelstreifen der Gneisenaustraße saß und zu schlafen schien, sich nicht bewegte, aber als ich Stunden später mit dem Fotoapparat kam, dann doch wieder weg war.

Im Café Obermeier war C., ein Amerikaner im samtenen Nadelstreifenanzug, völlig begeistert über Berlin. Unsre ewigen Klagen über den hiesigen Himmel konnte er nicht verstehen. Er hätte überhaupt keine Probleme damit, sagte er mit sanfter Stimme. Im Dunklen könne man doch viel besser lesen.

"Das kann man doch im Sommer auch!" - "Im Winter aber besser."

An einem Tag las ich "After Dark" von Haruki Murakami in einem Rutsch weg. Ich hatte mir das Buch aus Sentimentalität bei Karstadt gekauft. Ohne große Erwartungen, aber doch mit der Hoffnung, von dem Buch etwas lernen zu können.

Eigentlich war ich zu Karstadt gegangen, um mir den "Kater Murr" von E. T. A. Hoffmann zu kaufen. Tobias Rapp hatte mal - vor anderthalb Jahren - gesagt, das sei sein Lieblingsbuch von früher. Ich hatte es auch als Teenager gelesen gehabt. Und weil mir die zweibändige E.-T.-A.-Hoffmann-Ausgabe, die ich damals gekauft hatte, nicht mehr gefiel, hatte ich mir eine neue kaufen wollen. Den "Kater Murr" hatte es bei Karstadt nicht gegeben, also hatte ich dies Murakami-Buch gekauft und vielleicht zu schnell gelesen. Ich wusste nicht genau, ob es das Ein-paar-Stunden-Hintereinander-Lesen war, das mir gefiel, oder das Buch - und die Gedanken seiner Helden waren mir doch recht weit entfernt: "Das ist mein Lebensmotto: Langsam gehen und viel Wasser trinken."

Sehr heimisch fühlte ich mich dagegen bei dem kleinen Erzählungsband "Tamara und Konsorten" von Almut Klotz und Rev. Christian Dabeler, war irgendwie doch sehr gerührt, die Namen von Orten - wie das Hamburger "Tagtraumtee" - wieder zu lesen, an denen ich als Teenager gewesen war, und kicherte manchmal so leicht bescheuert vor mich hin, als ich das Buch in der U-Bahn las. Neulich hatte ich die beiden in dem Kreuzberger Wirtshaus "Max und Moritz" lesen und Musikmachen gesehen. Am Rande hatten wir über "Rollo Aller" gesprochen. Dabeler hatte in dem vierteiligen Meisterwerk von Henrik Peschel ja mit Rocko Schamoni zusammengespielt und erzählte, sie hätten Peschel vor allem dazu gedrängt, den vierten Teil zu machen, um ihn dazu zu bringen, den längst schon fertigen dritten Teil auch mal öffentlich zu zeigen.

Und es war sehr schön gewesen. Und gab auch eine Fortsetzung: Vor drei Tagen hatte ich zusammen mit dem Kollegen Andreas Rüttenauer im "Max und Moritz" vorgelesen. Es war wunderbar gewesen. Zu versuchen, sich abwechselnd zu ergänzen, als Autor Sachen mit netten Leuten zu teilen. Allein vor dem Mikro geht meist ja gar nicht, wenn aber nette Leute da sind, ist es super.

So gingen die Tage dahin.

Im Allgemeinen bewegte ich mich meist in einem Kreuzberger Dreieck zwischen meiner Wohnung, der taz und einem Billardsalon, den ich nachts manchmal aufsuchte. Im Billardsalon lief die ganze Zeit ein amerikanisches Internetradio. Das jüngste Stück - "Under Pressure" von David Bowie - war auch schon fast dreißig Jahre alt. Das Meiste eher vierzig Jahre. Cream rauf und runter und so weiter. Oder die Zombies mit "Shes not there".

Ich sagte zu C., das sei eigentlich mein Lieblings-Beatstück; er schaute mich etwas verständnislos an. Vielleicht weil das Stück für ihn als Amerikaner etwas anderes bedeutet. Der Blick aus dem Fenster auf die regennass glitzernde Straße war aber super! Gegen halb fünf war Schluss, und wir torkelten nach Hause. Ein bisschen fühlte ich mich privilegiert, dass ich den nächsten Tag verschlafen konnte, ein bisschen beneidete ich die Freunde, die zur Arbeit mussten. Am Nachmittag schmirgelte ich meinen Fernseher ab, strich ihn weiß an und fuhr dann Richtung Kudamm, um mir die neuen Räume der auf Landkarten spezialisierten, mehr als 200 Jahre alten Buchhandlung Schropp anzugucken. Die vielen Globen leuchteten schön am grauen Nachmittag. D. erzählte von einem expertistischen Kunden, der alle Straßen Berlins kennt und mit diesem Wissen auch schon einmal im Fernsehen beeindruckt hatte und davon, wie sie im Frühling mehrere Exemplare von Charlotte Roches "Feuchtgebieten" geordert hatte. Eine aus Georgien stammende Kollegin war entsetzt von diesem westlich dekadenten Machwerk. Die anderen waren auch nicht so begeistert. Kunden protestierten. Es wurde entschieden, die Bücher zurückzuschicken. Vermutlich ist Schropp die einzige Buchhandlung, die die "Feuchtgebiete" als unverkäuflich zurückgeschickt hatte. Später ging ich in den Supermarkt Ullrich am Zoo. Vor der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten war Ullrich der einzige Supermarkt Berlins, der spät und auch am Sonntag geöffnet hatte. Promis wie Iris Berben trafen hier auf Junkies.

Im Kantinenbereich des leicht heruntergekommenen Supermarkts stand ein zerlumpter Mann und schlief wohl. Sein Kopf lag auf einem runden, roten Bistrotisch. Später kam ein Mann von der Security, stupste ihn an und sagte: "Du musst jetzt hier weg."

Der Zerlumpte begann nicht zu krakeelen, sondern murmelte nur kleinlaut: "Ich muss mich einfach nur kurz mal ausruhen", während er sich gleichzeitig mental darum bemühte, in einen Zustand zu kommen, der es ihm erlauben würde, beim Rausbegleitetwerden nicht gleich hinzufallen. Der kurzhaarige Securitymann verhielt sich respektvoll. Ich setzte mich und ass Schweinebraten mit Kartoffeln und Rotkohl.

Auf dem Weg über die Straße zum Breitscheidplatz zischelte jemand "Haschisch" und die Namen irgendwelcher anderer Drogen. Leicht genervt schaute ich mich um und in ein Gesicht, das ein bisschen fertig aussah.

Später, es war schon wieder Nacht in Kreuzberg nah meiner Wohnung, sah ich einen Mann mit langen, dunklen Haaren auf einem 26er Damenfahrrad. Sonst war niemand auf der Straße. Irgendwie aus dem Zusammenhang gerissen, rief er sehr laut mit voller Stimme: "Es ist doch alles gut gemeint" und "So ist das hier" und verschwand dann im Dunklen. Wie ein rohes Ei hatte ich die zwei Sätze, die er gerufen hatte, in meine Wohnung getragen. Ich hatte das Radio und den Computer angemacht. In dem Moment, als ich die Sätze aufschreiben wollte, ärgerte mich plötzlich die Stimmlage des Sprechers im Radio sehr, ich ging zum Radio, um einen anderen Sender anzustellen. Als ich wieder am Schreibtisch saß, um die Sätze aufzuschreiben, waren sie weg. Und ob die Sätze, an die ich mich später zu erinnern meinte, richtig sind, weiß ich nicht.

Manchmal stritt ich mit A. noch über Energielampen. Er sagte, seine Frau sei auch dagegen und würde die von ihm reingeschraubten Energielampen regelmäßig wieder rausschrauben, weil das Licht so doof ist.

Dann begannen die Abende langer Gespräche, und wir sagten ganz unironisch "Frohe Weihnachten", als wir uns im Treppenhaus trennten.

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