Eine Frage der Ehre?

Schon wieder wurde eine junge Muslimin von einem Familienangehörigen umgebracht. Darf man dafür den Begriff „Ehrenmord“ verwenden, nur weil der Mord kulturell begründet wird?

ja

VON JAN FEDDERSEN

Es ist immer das gleiche Muster: Ein Mann – niemals eine Frau – aus einer zumeist muslimisch geprägten Familie bringt eine nahe Angehörige um, weil sie ihre eigenen Vorstellungen vom Leben hat, die sich nicht mit denen ihrer Brüder, Schwestern und Eltern decken. Hierzulande sind dies seitens der Opfer durchweg Vorstellungen von einem Leben, das unter ihresgleichen als westlich verfemt wird.

Die liberale Öffentlichkeit regt sich dann über den Mord auf – nicht hingegen jene, die die gleichen Werte kultivieren wie die Exekutoren der Getöteten. Sie habe die „Ehre“ der Familie missachtet, beschmutzt und verworfen und verdiene deshalb, aus dem Leben genommen zu werden. Dieser Begriff von Ehre ist in sich vollkommen logisch, er wird benutzt als Chiffre für menschliches Hab und Gut nach dem Gusto patriarchaler Gewaltverhältnisse, an denen Frauen –eine bittere Pointe – gern und oft teilhaben.

Es sind Verbrechen des Hasses, aber auch solche aus Gründen der bedingungslos unterworfenen Liebe, es sind Delikte, die niemals akzeptierbar sind – selbst wenn die vorzivilisierte Idee der Ehre den Tätern und ihren Komplizinnen (oft: Mütter, Schwestern, Tanten, Cousinen) jeden Weg versperrt, die Tötung wenigstens mit einem schlechten Gewissen zu versehen. Denn ein Über-Ich im westlichen Sinne kennen diese Ehrenmörder nicht. Ehre ist jedenfalls das, was die Täter meinen, schaffen sie Widerspenstiges aus dem Leben. So nenne man es Ehrenmord.

Denn politische überkorrekte Ausweichvokabeln wie „Geschwistermord“ scheinen das Tatsächliche zwar zu treffen. Doch davon abgesehen, dass es auch Cousins und Neffen sein können, die den Auftragskiller geben, verharmlost dieses Wort. Mord aus Gründen der Ehre ist ein „Ehrenmord“. Ihn so zu nennen hilft vor allem jenen, die eben wegen einer Ehre ermordet werden: Bloß kein Sprachgeschwiemel!

Es sind im Übrigen nicht allein Frauen, die der Ehre wegen verbrannt, abgestochen, erwürgt, ertränkt oder erschossen werden, es sind auch Männer, die gewissen Virilitätsvorstellungen – samt Zwang zum Heiraten plus Kinderproduktionssex – sich widersetzen und getötet werden.

nein

VON CIGDEM AKYOL

Es ist immer wieder das gleiche Muster: Ein Mann ermordet ein weibliches Familienmitglied, weil er dieses nicht mehr kontrollieren kann. Auch die 20-jährige Deutschkurdin Gülsüm S. aus Rees wurde getötet, weil ihr Freiheitswillen der eigenen Familie missfiel. Als ihr Drillingsbruder Davut erfuhr, dass seine Schwester heimlich eine Abtreibung hatte durchführen lassen, hat er sich entschlossen, sie zu töten. Er sah sich dazu gezwungen, das Gesetz der Ehre vollstrecken zu müssen, den „Schandfleck“ des Clans zu entfernen – das muss man zumindest annehmen, denn zum sogenannten Ehrenmord gehört auch das Gesetz des Schweigens. Die Ermittlungen deuten auf kulturelle Konflikte in der Familie als mögliches Tatmotiv.

So weit, so fatal. Mehr ist bisher über den Mord nicht bekannt. Aber seit der Aufdeckung hat sich wieder der Begriff „Ehrenmord“ nach vorne geschoben. Er erleichtert es der Gesellschaft, eine Tragödie rasch in eine Schublade zu stecken. Die Wirklichkeit lässt sich so mit einem Schlagwort verschleiern. Doch das greift zu kurz: Eine solche Tat ist immer nur der traurige Höhepunkt einer tragischen Entwicklung. Außerdem steckt hinter dem Begriff eine strikte Grenzziehung zwischen Lebenswelten. Denn wenn Muslime Angehörige umbringen, spricht man umgehend vom „Ehrenmord“, ansonsten handelt es sich um eine „Familientragödie“.

Zudem stellt sich die Frage, ob es überhaupt einen Mord um der Ehre willen geben kann? Was ist das für eine Ehre, die ein Mann mit dem Tod einer Frau begründet? Was soll das für ein Stolz sein, der einem das Recht gibt, Selbstbestimmung zu verhindern und Leben zu beenden? Verliert nicht derjenige alle Ehre, der eine Unschuldige umbringt?

Im Übrigen kann der Täter durch den Begriff „Ehrenmord‘ es sich in seiner Opferrolle bequem machen. Der Mord wird damit gerechtfertigt, dass er die einzige Möglichkeit zur Rettung der Familie sei, der Mörder ein Gefangener in einem mittelalterlichem System. Der Täter kann sich hinter dem irreführenden Begriff verstecken, er wird entlastet und gedeckt. Aber ein sogenannter „Ehrenmord“ ist nichts anderes als ein Mord aus niedrigen Beweggründen.