Kanon für die Krise

WAS SAGT UNS DAS? Bernd Begemanns neue Platte trägt den Titel: „Ich erkläre diese Krise für beendet“

Meint er die Geldkrise, die Klima- und Energiekrise? Eine persönliche Mittlebenskrise oder gar einige Jahre künstlerischer Stagnation? Begemann tut jedenfalls den Teufel, sich in Zeiten des Westerwelle opportunistisch als Vorsänger eines künstlerischen oder gar politischen Projekts „Klassenkampf“ zu positionieren.

Ein Schlüsselsong heißt „Sie redet Revolution“. Er endet in einer Explosion. Aber der Icherzähler ist von der sozial engagierten und wütenden Frau nicht für diese „Revolution“ zu agitieren. „Sie fragt: Hältst du den Druck aus? Ich sag: Ich denke schon.“ Er steht einfach nicht auf die Parolen von gestern. Vor allem, weil er weiß, dass sie nicht nach morgen führen. Vermutlich auch, weil er sich mit fröhlicher Melancholie in einem bequemen, neubürgerlichen Leben eingerichtet hat. Obwohl, bequem?

Begemann ist kein wohlfeiler Kritiker der „anderen“. Wenn überhaupt ist er Beobachter der neubürgerlichen Gesellschaft. Er ist Teil davon und einer ihrer sogenannten Leistungsträger. Einer, der einer unbequemen, freischaffenden Erwerbsarbeit nachgeht in einer digitalisierten Musikwelt der Zumutungen, in der weitgehende Teile der Kunst und Arbeit brutal ausgebeutet werden – allerdings nicht nur von Kapitalisten, sondern von Mitbürgern, die den freien Download als demokratisches Grundrecht interpretieren.

Es ist so: Begemann arbeitet unverdrossen an der Vergrößerung eines gesellschaftlichen Schatzes, der großen Begemann-Jukebox. Dieser Kanon ist erneut um einige Songs erweitert worden. Und um die geht es.

Es sind nicht die ironisch veredelten Zustandsbeschreibungen des Lebens und Denkens jener 40- bis 50-Jährigen, die gut in einer durch 1968 aufgeklärten Gesellschaft leben. Nein, am besten ist Begemann, wenn es ihm gelingt, auf der Rasierklinge jener Kunst zu balancieren, die auf beiden Seiten von den Abgründen des Kitschs bedroht wird. „Sie gehört den Sternen“ ist so ein Song oder „Zurück an einen wundervollen Ort“. Er vereint die Kunst einer leichten, authentischen Sprache mit der richtigen Melodie. „Die neuen Mädchen sind da“. Was für ein Song! Was für ein Heilsversprechen! Ba-ba-ba-ba-ba, zumindest die Weltmädchenkrise ist überwunden.

Dafür hat Gott die Popmusik erschaffen. PETER UNFRIED