Was noch klarzustellen war

JUSTIZ Der Entführer und Kindsmörder Magnus Gäfgen präsentiert sich als Vorkämpfer gegen die Folter. Der Gerichtshof für Menschenrechte machte ein kluges Urteil daraus

Den Kampf gegen die Folter sollte Gäfgen lieber gewaltfreien Häftlingen überlassen

von CHRISTIAN RATH

Immer wieder Gäfgen, immer wieder Daschner. Der Fall lässt Deutschland nicht in Ruhe. Der verurteilte Kindsmörder Magnus Gäfgen zieht immer wieder vor Gericht, weil ihm der Frankfurter Polizei-Vize Wolfgang Daschner vor acht Jahren Schmerzen androhen ließ. Daschner wollte so herausfinden, wo Gäfgen einen entführten Bankierssohn versteckt hielt. Die Drohung hatte aber nur teilweise Erfolg. Gäfgen gab zwar sein Leugnen auf, konnte die Polizei aber nur noch zur Leiche des elfjährigen Jungen führen.

Jetzt wurde Deutschland wegen dieser Folterdrohung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt. Der Kindsmörder sei damals unmenschlich behandelt worden. Einen neuen Prozess bekommt Gäfgen freilich nicht. Ein kluges Urteil. Es stellt klar, was klarzustellen ist, wird aber – hoffentlich – keine neue Folter-Debatte auslösen.

Denn Daschners robustes Vorgehen war in Deutschland durchaus populär. In Meinungsumfragen sprach sich eine deutliche Mehrheit dafür aus, den Polizisten Daschner nicht zu tadeln. Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) äußerte Verständnis. Oskar Lafontaine (Linke) hielt Daschners Vorgehen sogar für richtig. Und der damalige Präsident des Richterbundes, Mackenroth, schwadronierte über „erlaubte“ Fälle der Folter.

Inzwischen hat sich alles wieder beruhigt. Die deutschen Gerichte haben klargestellt, dass Folter in keinem Fall zu rechtfertigen ist, auch nicht zur vermeintlichen Rettung von Menschenleben. Völlig zu Recht, denn wenn Polizisten erst einmal in Foltertechniken ausgebildet werden und in den Polizeiwachen die Folterwerkzeuge für Notfälle bereitliegen, dann gibt es bald kein Halten mehr. Wenn ein Problem im Rechtsstaat angeblich nur mit Hilfe von Folter zu lösen ist, dann ist es unlösbar. So weit, so gut. Doch dann kam wieder Gäfgen und wollte erreichen, dass Deutschland vom Gerichtshof des Europarats ausdrücklich verurteilt wird. Eine Schadensersatzklage in Deutschland läuft auch noch.

Gäfgen gibt sich als Vorkämpfer gegen die Folter und merkt nicht, dass sein Einsatz stets aufs Neue Gefahr läuft, kontraproduktiv zu wirken. Der kaltblütige Kindsmörder ist nun mal kein Aushängeschild für die Sache der Menschenrechte.

Den öffentlichkeitswirksamen Kampf gegen Folter sollte er lieber gewaltfreien politischen Gefangenen überlassen – wenn ihm wirklich etwas an der Sache liegt und er sich nicht nur als Opfer präsentieren will.

Zumal Gäfgens Einsatz auch nicht ganz selbstlos war. Schließlich versuchte er mit seiner Klage in Straßburg, auch einen neuen Strafprozess in Deutschland zu bekommen. Dort hätte er dann vielleicht als Gegenleistung für ein neues Geständnis eine mildere Strafe aushandeln können.

Denn bei der Verurteilung 2003 hatte ihm das Frankfurter Landgericht eine „besondere Schwere der Schuld“ attestiert, das heißt: Er hat keine Chance, schon nach 15 Jahren Haft das Gefängnis zu verlassen.

Dabei bleibt es nun aber auch. Zu Recht. Denn wer so oft betont, dass er aus echter Reue gestanden hat wie Gäfgen, kann sich nun nicht darauf berufen, er habe – angesichts der von ihm selbst nach der Folterdrohung beigebrachten Beweise – ja keine andere Wahl gehabt.

Immerhin hat das gestrige Straßburger Urteil eindeutig klargemacht, dass Folter und die Drohung damit keine Kavaliersdelikte sind. Polizisten, die diese elementare Grenze zwischen Zivilisation und Barbarei verletzen, müssen eine abschreckende Strafe erhalten, statt sie auch noch zu befördern.

Diese Klarstellung verdanken wir Magnus Gäfgen. Also doch ein kleines Dankeschön.