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PLASTINATION Gunther von Hagens, auch bekannt als „Dr. Tod“, hat Parkinson – und viele Angestellte entlassen. Eine Art Grabrede vorab ist in diesem Fall ethisch vertretbar

Erst im November hatte der Anatom mit großem Getöse einen Online-Shop mit Leichennippes eröffnet

VON MARTIN REICHERT

Richtig laut sagt es niemand, aber denken werden es viele: Gunther von Hagens, Parkinson? Es geht eben doch gerecht zu im Leben! Hat von Hagens, in der Boulevard-Presse hartnäckig als Dr. Tod bezeichnet, doch beständig gegen die überlieferten Umgangsformen mit Leichen verstoßen. Anstatt ihnen Respekt zu zollen, hat er sie in Scheiben gesägt und als Mobilee gestaltet. Anstatt sie in Frieden ruhen zu lassen, hat er ihnen eine Schublade in den Bauch gebaut. Solche Sachen. Die oft religiös befeuerten Erregungskurven, die von Hagens’ Projekte in der Geschichte seines Wirkens auslösten, verliefen fast ebenso steil nach oben wie die Besucherstatistiken seiner „Körperwelten“-Ausstellungen, die ein Millionenpublikum anzogen.

Fast uneingeschränkte Wertschätzung schlug von Hagens bislang nur in der deutsch-polnischen Grenzstadt Guben-Gubin entgegen. Allerdings eher im deutschen Teil Guben: Das brandenburgische Städtchen mit seinen rund 20.000 Einwohnern, einst prosperierend und bekannt nicht nur für seine Apfelblüte, sondern vor allem für seine blühende Textilindustrie, war stets stolz auf ihren prominenten und solventen Arbeitgeber, der dort 2006 in einer ehemaligen Hutfabrik ein „Plastinarium“ mit Werkstatt, Anatomieschau und Ausstellung eröffnet hatte. Guben, offiziell „Die Stadt der Äpfel“, wurde zur Leichenmetropole, das „Gubener Apfelfest“ durch ein weiteres Event ergänzt, nämlich das internationale „Körperspender-Treffen“. Im benachbarten Polen, das von Hagens ursprünglich aufgrund der niedrigeren Löhne als Produktionsstätte auserkoren hatte, wäre das alles nicht möglich gewesen – aufrechte Katholiken hatten dort eine Ansiedlung von Hagens’ verhindert. Im ursprünglich protestantischen und in der DDR-Zeit entchristianisierten Guben hatte man keine Bedenken und freute sich über die dringend benötigten Arbeitsplätze in der nach der Wende weitgehend deindustrialisierten Stadt.

Erst im November hatte der Anatom mit großem Getöse einen Online-Shop mit menschlichem und tierischem Leichennippes (Collier mit Bullenpenisscheiben, 101,15 Euro) eröffnet – nur um wenig später, gegen Ende des letzten Jahres, seinen Mitarbeitern vor Ort zu verkünden, dass ihre Zahl um 130 auf 50 reduziert werden müsse. In einer Ansprache bekannte er, dass er Parkinson habe und schilderte seine körperlichen Symptome und seelischen Probleme, die er mit der Diagnose und der fehlenden Aussicht auf Heilung habe. Er sei an einem Wendepunkt seines Lebens angekommen und gezwungen, neue Weichen zu stellen, sagte von Hagens. In Guben werde deshalb die Scheibenplastination geschlossen, andere Bereiche sollten dagegen fortbestehen.

Neue Weichen? In einem Interview mit Bild enttäuschte er nun eventuelle Hoffnungen seiner frommen Feinde auf Umkehr, Abkehr oder gar tätige Reue. Er verkündete, sich nach seinem Tod plastinieren zu lassen und seinen Leichnam der „Körperwelten“-Ausstellung zukommen zu lassen: „Mein Plastinat soll dann in einer begrüßenden Pose am Eingang meiner Ausstellung stehen. Ich will die Gäste willkommen heißen, auch wenn ich tot bin“, sagte er.

Von Hagens, der es stets geschafft hatte, seine Mission der „Demokratisierung der Anatomie“ mit modernster Geschäftstüchtigkeit zu kombinieren, beabsichtigt offensichtlich, auch im Tod weiterhin ein Ärgernis zu bleiben. Ein Exponat mit Hut aus dem frühen 21. Jahrhundert, das von hohem symbolischen Gehalt sein wird, verweist es doch auf die Ungleichzeitigkeiten einer Epoche: Von Hagens unerschrockener – kühler – Umgang mit Leben, Tod und Leichen steht auf den ersten Blick in Widerspruch zu den angeblich rückkehrenden Weltreligionen und einer Tendenz zur Abkehr vom Prinzip Aufklärung.

Sein großer Erfolg und überhaupt die Tatsache, dass er tun durfte, was er wollte – ohne juristisch belangt oder klerikal verfolgt zu werden –, wird jedoch einst belegen, dass man die Uhren nicht einfach wieder zurückdrehen kann. Der Umgang mit dem Leben, dem Tod und auch den Leichen ist am Anfang des 21. Jahrhunderts weiter auf dem Weg, zur Privatangelegenheit zu werden: Wer seine Asche nach dem Ableben zu einem Diamanten pressen lassen möchte, kann das einfach tun. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich.