Kolumne Wortklauberei: Stille Nacht

Der Wert des Maulhaltens erschließt sich erst so richtig demjenigen, der einfach mal das Maul hält.

Wulff schweigt in Weihnachtsansprache zu Vorwürfen", hieß es letzte Woche in den Radionachrichten. Klang interessant. Wie er das wohl umsetzen würde? Mitten in der Ansprache, bürgernah platziert, eine Schweigeminute zu den Vorwürfen? 30 Sekunden beredtes Schweigen mit lang gezogenen Schwiegersohnhundeblicken? Peinliches Schweigen gar, die geladenen Gäste fixieren schon unbehaglich ihre Schuhe? "Verehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger, gestatten Sie mir nun eine Minute eisigen Schweigens zu den Vorwürfen gegen mich." Aber nix wars natürlich.

Der Wulff hat gar nicht geschwiegen, der hat nur einfach nichts gesagt und ansonsten durchgelabert - wie das Politiker halt normal so machen. Pfff. Mich interessiert das Thema so, weil ich selbst seit einer Woche zu ALLEM schweige - zu Sachfragen und Geplauder, zu Lied und Klang, zu Kinderquieken und Weihnachtsgruß, zu Vorwürfen ohnehin. Mein HNO hatte mir in den Hals geschaut, "walzenförmig geschwollene" Stimmbänder erkannt und eine Woche "absolute Stimmruhe" verordnet. Silentium, Maulhalten, über Weihnachten hinweg! Sie haben recht, natürlich müsste man über so einen Knaller sofort ein Buch schreiben - was für eine Verschwendung!

Aber ich bin ja auch einer der Wenigen, die in den letzten Jahren Vater geworden sind und die Tücken und Fallstricke der Jungelternschaft erlebt haben, ohne ein Buch darüber zu schreiben. All die vollen Windeln zur Unzeit, die skurrilen Begegnungen mit so Eltern … So ein reicher Schatz an Anekdoten, lost like tears in the rain.

Seis drum. Ich also stumm an Weihnachten. Stille Nacht, in der Tat. Was soll ich sagen: In der Familie liefs irritierend prächtig. Minimalkommunikation über Gesten und Mimik, hie und da was in den Laptop getippt und rumgezeigt, ringsum schien man recht unbelastet, ja angetan von meinem Zustand. Nachdenklich stimmten mich auch manche Mitleidsbekundungen: "Das muss ja gerade für dich die Hölle …" Was bin ich für eine verschriene Labertasche?

Dabei hat die temporäre Sprachlosigkeit etwas wirklich Angenehmes, Entspannendes. Wenige Abende im Jahr etwa sind so potenziell anstrengend wie die große Weihnachts-Reunion in unserer heimatlichen Stammkneipendisco, wenn ALLE da sind, die man EWIG nicht sah und man zu massenhaftem Smalltalk verdammt ist - der oft genug in peinlichem Schweigen verebbt, und dann steht man da und muss mal aufs Klo.

In der absoluten Stimmruhe aber gibt es kein peinliches Schweigen, nur ärztliche Order. Umgekehrt, kann ich berichten, ist die Gefahr des Vollgelabertwerdens für Stumme minimal; es gibt da offenbar so etwas wie eine Beißhemmung. Auch schön: kein Telefon!

Wie schnell man sich daran gewöhnt und sich das Maulhalten zur neuen Natur gemacht hat, erfährt nur der Maulhaltende selbst. Nach zwei Tagen Schweigen ist das Reden ganz weit hinten im Hals eingelagert, man müsste es erst hervorholen, aufklappen und wieder anschmeißen. Und so weit ist es jetzt. Die Woche ist vorbei. Ich muss da wieder raus.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.