„Eine Maschine versteht keine Ironie“

ÜBERSETZUNGEN Vor einigen Jahren noch befürchteten Übersetzer, dass ihre Jobs von Computern übernommen werden. Heute werden Maschinen als Hilfsmittel genutzt, den Profi-Übersetzer ersetzen können sie nicht

„Die maschinelle Übersetzung ist für uns kein Damoklesschwert mehr“

Norma Kessler

VON BARBARA KERNECK

Wenn der Ausgangssatz hieß: „Hunting adventures are fascinating“, und wenn die Übersetzung lautet: „Jagende Abenteuer sind faszinierend“, dann hat den Transfer von einer Sprache in die andere wohl ein Computer besorgt. Dieses Verfahren kommt heute häufig bei Texten zum Zuge, zum Beispiel im System von Internet-Suchmaschinen, für die sich aus Kosten- oder Zeitgründen einfach kein lebender Übersetzer finden ließe.

Der technische Übersetzer Florian Willer (36), obgleich sehr lebendig, arbeitet auch mit der Maschine. Er verlässt sich aber nicht auf sie, sondern übersetzt lediglich „maschinengestützt“. Er kooperiert eng mit seinem Translation-Memory-(TM-)Programm. Auf seinem Bildschirm zeichnet sich gerade ein Netz von verschiedenfarbigen Kästchen ab, in denen Bezeichnungen für Microchips und elektronische Bauteile stehen. Zurzeit überträgt er, vernetzt und gemeinsam mit einer Handvoll von Kollegen, aus dem Englischen einen Firmenkatalog – im Umfang von 2.700 kleingedruckten Seiten. „Was hier golden unterlegt ist“, erklärt Willer, „wurde bereits im Vorjahr übersetzt und editiert, dafür braucht mein Kunde heute nicht mehr zu bezahlen.“ Steht nach einer Bezeichnung ein kleines Namenskürzel, so haben hier er selbst oder einer seiner Kollegen einen neuen Übersetzungsvorschlag gemacht. Dann gibt es oft heiße Online-Diskussionen.

Ein gutes Translation-Memory-Programm kostet heute zwischen 500 und 1.000 Euro für die Freelancer-Version. Die Investition lohnt sich. Mit jeder Übersetzung vervollkommnet Willer sein Werkzeug: „Noch ein paar Jahre, und meine Datenbank ist von keinem Wörterbuch zu schlagen!“ Wo geografisch er gerade arbeitet, etwa an seinem Hauptwohnort in Berlin-Prenzlauer Berg oder in Kanada, interessiert keinen seiner Auftraggeber. Manche Firmen allerdings setzen gezielt Übersetzer ein, die auf anderen Kontinenten bereits Texte erstellen, während der Auftraggeber schläft.

Doch zurück zu den rein maschinellen Übersetzungen: Wie soll eine Maschine lernen, die mögliche Lesart von mehreren Bedeutungen eines Wortes in der Ausgangssprache festzulegen? „Disambiguierung“ heißt das Zauberwort. Die Programme müssen dafür bestimmen, welches Wort in welcher grammatischen Form als Nachbar für welche anderen Wörter infrage kommt. Dazu gibt es zwei häufig verwendete Lösungen: Die vom semantischen Bau der Ausgangssprache ausgehende, sogenannte regelbasierte Übersetzung (Rule-based Machine Translation = RBMT) wurde zum Beispiel für ein im Gesundheitswesen der USA eingesetztes Fragesystem weiterentwickelt, um die Beschwerden von kaum Englisch sprechenden Migranten zu erfassen. Die Anzahl der möglichen Antworten muss hierbei begrenzt sein.

Anders funktioniert die heute populäre statistische maschinelle Übersetzung (Statistical Machine Translation = SMT). Sie setzt weniger eine Analyse der Ausgangs- und Zielsprache voraus, wohl aber das Vorliegen einer Menge statistisch auswertbarer, qualitativ guter Übersetzungen in beide Richtungen. Bei den wachsenden Rechnerkapazitäten steht nichts dem Versuch im Wege, diese beiden und noch weitere Methoden miteinander zu kombinieren, um die Computer-Übersetzungsprogramme permanent zu vervollkommnen.

Transnationale Firmen sind dazu übergegangen, Maschinenübersetzungsprogramme maßschneidern zu lassen, zum Beispiel für Fachtexte. Diese müssen nur in bestimmte, für das System mundgerechte Formulierungen gekleidet werden. Dann können Mitarbeiter aus verschiedenen Teilen der Welt schnell Informationen füreinander übersetzen.

Anders als beim Hinzuziehen außenstehender Übersetzer brauchen sie sich dabei weniger Gedanken über die verschiedenen Zeitzonen und die Datensicherheit zu machen. Noch ein Vorteil: Ausdrücke, welche einen Teil der eigenen Corporate Identity bilden, können dabei nicht verfälscht werden. Ein solches eigenes Übersetzungsprogramm benutzt zum Beispiel die Wolfsburger Volkswagen AG.

Wenn allerdings Dokumente für eine breitere Öffentlichkeit erstellt werden, kommt auch das beste maschinelle Übersetzungsprogramm nicht ohne eine professionelle Nachbereitung aus. Indem der Übersetzer die Fehler korrigiert, vervollständigt auch er die Datenbank.

Die Nachfrage nach Fachleuten für die Programme, Prä-Editoren, Post-Editoren ebenso wie für Übersetzer im traditionellen Sinne wächst im Zuge der Globalisierung rasant. „Die maschinelle Übersetzung ist für uns kein Damoklesschwert mehr“, sagt Norma Keßler, Vizepräsidentin des Bundesverbands der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ): „Als ich Studentin war, hat man uns immer damit Angst gemacht: Eines Tages braucht man euch nicht mehr! Heute kann ich mit voller Überzeugung sagen: Das wird nie so sein.“ Nach einer von der EU in Auftrag gegebenen Studie lag das Marktvolumen aller Sprachdienstleistungen innerhalb ihrer Mitgliedstaaten im Jahr 2008 bei schätzungsweise 8,4 Milliarden Euro. Bis 2015 wird eine Verdoppelung erwartet.

Auch Florian Willer, der im In- und Ausland bei der Produktion technischer Bauteile Praktika absolvierte, ist sich sicher, dass ihn in mancherlei Hinsicht nie ein Computerprogramm ersetzen wird: „Nicht in Bezug auf meine Welterfahrung und nicht in Bezug auf meine grammatikalische Kompetenz in der Muttersprache. Da die maschinellen Übersetzungsprogramme zunehmend auf Eindeutigkeit gedrillt werden, können sie auch keine literarischen oder Werbetexte übersetzen, die ja gewollt vieldeutig sind. Eine Maschine versteht keine Ironie.“