Da grasen sie, die Milben

WELTEN Eine Dschungelpflanze? Ein Weltallmonster? Nein: ein Spermium! Eine Zelle! Die Mikrofotografien von Manfred Kage zeigen, wie schön unser Körper im ganz Kleinen ist – wenn man nur die richtige Kamera benutzt

■  Der Fotograf: Manfred Kage, 75, ist von Beruf eigentlich Chemotechniker. 1959 gründete er das „Institut für wissenschaftliche Fotografie“, das er zusammen mit seiner Frau und Tochter leitet. Kage steuerte auch Mikroaufnahmen für etliche Science-Fiction-Filme bei.

■  Die Ausstellung: Die Alfred Ehrhardt Stiftung zeigt noch bis zum 9. Januar 2011 die Ausstellung „Mikrofotografie – Retrospektive Manfred Kage“. Zu sehen sind über hundert Bilder aus mehr als fünfzig Jahren, zehn Filme und eine Mikroapparatur. Infos unter: www.alfred-ehrhardt-stiftung.de

VON MARIA ROSSBAUER

Wenn Manfred Kage von Milben spricht, gerät er ins Schwärmen. Wie sie sich bewegen, so anmutig, so zart. Er könnte sie stundenlang beobachten, die Tiere, die etwas von dicken Kartoffelknollen haben. Ihnen dabei zusehen, wie sie sich durch Staub bewegen und Hautzellen fressen. Für Kage sind Milben kein ekliges Ungeziefer, das zu Millionen in unseren Betten herumkrabbelt und uns zum Niesen und Kratzen bringt. Für Kage sind Milben Grazien.

Der Fotograf hat die Tiere als Modelle entdeckt, hat sie vor die Kamera geholt, ihre nashornartige Form berühmt gemacht. Doch nicht nur diese kleinen Objekte inszeniert er als Kunstwerk. Kage fotografiert Haarspitzen, Nervenzellen, Algen und Lungenbläschen. Alles, was kleiner ist als ein Hühnerei.

Wie die Purkinjezelle. Die Nervenzelle sitzt eigentlich in unserem Kleinhirn, steuert von dort aus feine Bewegungen des Körpers. Sie koordiniert die Drehungen eines Balletttänzers, und auch Kage braucht diese Zelle, wenn er mit bloßen Füßen über die schroffen Klippen balanciert – und dann hineinspringt, um die kleinsten Bewohner des Meeres in Marmeladengläsern für sein Mikrostudio einzufangen.

Ihn fasziniert die Komplexität der Purkinjezelle, die Art, wie sie sich mit anderen Zellen vernetzt, wie ihre Axone und Dendriten, die Stromleitungen der Nervenzellen, neues Areal im Kleinhirn erkunden, ähnlich wie die Fühler einer Schnecke.

Kage schneidet Gewebe in hauchdünne Scheiben, bringt es mit speziellen Färbetechniken zum Glühen, drückt auf den Auslöser seiner Kamera, die auf das Mikroskop aufgesteckt ist – und verwandelt das Zellgewebe in ein Gemälde wie auf einem Kirchenfenster.

Er gilt als Pionier der Mikrofotografie. Seit mehr als fünfzig Jahren tüftelt der gelernte Chemotechniker an Mikroskopen, erfindet neue Präparationstechniken und Beleuchtungsverfahren, um seine Winzlinge schöner auf ein Bild zu bekommen. Mit Hilfe all dieser Techniken brachte Kage eine Welt in die Öffentlichkeit, die sich sonst nur Wissenschaftlern im Labor erschließt.

Um den Geißelschlag eines Spermiums einzufangen, gießt Kage Glutaraldehyd, eine durchsichtige Chemikalie, über die schwimmenden Keimzellen. So kann er die Bewegung des Spermiums einfrieren und festhalten. Auf der Leinwand windet es sich nun, fliederfarben, wie eine Orchidee. Es hätte auch ein neuer Mensch entstehen können mit diesem Spermium – wäre es nicht geradewegs in Kages Marmeladenglas gelandet.