Das Ende einer selten billigen Zeit

Weil die Inflation in den USA anzieht, wird US-Notenbankpräsident Alan Greenspan heute wohl die erste Zinserhöhung seitvier Jahren verkünden. Verschuldete US-Konsumenten geraten in Schwierigkeiten, Europäer können sich noch zurücklehnen

VON HANNES KOCH
UND HEIKE WIPPERFÜRTH

Heute Abend wird Alan Greenspan, der Chef der US-Notenbank Federal Reserve, wohl die erste Zinserhöhung seit dem Zusammenbruch der New Economy vor vier Jahren verkünden. Die meisten Beobachter rechnen damit, dass der US-Leitzins um 25 Basispunkte auf 1,25 Prozent steigt.

Der Leitzins ist mehr als eine ökonomische Größe, die nur für Fachleute Bedeutung hat. Er kennzeichnet, wie teuer Bankkredite für Unternehmen und Konsumenten sind. Liegen die Zinsen historisch niedrig wie seit Jahren, kann die Bevölkerung billiger Häuser oder Einrichtungsgegenstände kaufen. Die Höhe der Zinsen gibt Auskunft über die politische Zielsetzung der jeweiligen Nationalbank: Meint diese, dass das Wachstum zunimmt, die Inflation steigt und die Leute deshalb etwas weniger Geld ausgeben sollen, damit die große Wirtschaftsmaschine nicht heiß läuft? Oder ist die Konjunktur schlapp, die Preissteigerung bleibt im Rahmen, und die Firmen sollen mit niedrigen Zinsen zu vermehrten Ausgaben animiert werden?

Aktuell dreht sich die geldpolitische Debatte darum, wie die Inflation einzuschätzen ist. Nicht nur das britische Wirtschaftsmagazin Economist analysiert, dass die Preissteigerung weltweit wieder zum Problem werden könnte – wie zuletzt in den 70er-Jahren. Diese Argumentation stützt sich auf den Befund steigender Inflationsraten in wichtigen Staaten. In den USA lag die „Kernrate“ der Geldentwertung im Mai bei 1,7 Prozent (ohne Preise für Öl, Lebensmittel und Tabak) – nach 1,1 Prozent im Durchschnitt 2003. In China hat die Preissteigerung inzwischen mit 4,4 Prozent das höchste Niveau seit sieben Jahren erreicht. Daraus ergibt sich die Befürchtung, das Greenspan als oberster Geldpolitiker im wichtigsten Wirtschaftsraum der Welt die zunehmende Auslastung der Industriekapazitäten und die daraus resultierende Möglichkeit der Firmen, ihre Preise anzuheben, unterschätzt haben könnte. Setzt sich diese Ansicht in Washington durch, dürften die US-Zinsen mehr als einmal angehoben werden.

Die Lage in Europa stellt sich anders dar. Zwar beobachtet die Europäische Zentralbank argwöhnisch den hohen Preis des Öls, sieht aber bislang keinen kurzfristigen Handlungsdruck für eine Erhöhung der Zinsen. Denn die Kernrate der Inflation liegt im Euroraum konstant bei etwa 1,7 Prozent, und das Wachstum kommt nicht auf Touren. Konjunkturexperte Gustav Adolf Horn vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hält es deshalb für richtig, den europäischen Zinssatz im Gegensatz zu den USA einstweilen da zu lassen, wo er ist – bei 2 Prozent.

So werden die negativen Effekte einer Zinserhöhung den Europäern erst einmal erspart bleiben. Nicht so in den USA. Dort bekommt die hoch verschuldete Mittel- und Unterschicht nun die Quittung für die gigantischen Schulden präsentiert, die sie sich in den vergangenen Jahren dank niedriger Zinsen aufgehalst hat. Egal ob es sich um Häuser, Autos, Stereoanlagen oder Kühlschränke handelte – alles wurde auf Pump gekauft. Der Schuldenberg der US-Verbraucher hat sich laut der New York Times seit 2000 um 40 Prozent auf 9 Billionen Dollar erhöht.

Die Rückzahlung der Schulden durch betuchte Amerikaner basiert dabei auf Raten mit festen Zinssätzen. Ihren ärmeren Landsleuten geht es aber nicht so gut. Sie müssen variable Zinssätze zahlen, die teurer werden, wenn die Zinsen steigen. Dabei frisst die Rückzahlung von Schulden bereits heute 40 Prozent des Einkommens der US-Unterschicht auf. Führt die US-Notenbank Fed mehr als eine Zinserhöhung durch, nehmen die Probleme jedes Mal zu.