„Die Investitionen sind ein Witz“

Die Regierung sollte nicht nur 2, sondern 15 Milliarden Euro in Infrastruktur investieren, sagt DGB-Chefökonom Dierk Hirschel. Das jetzt geschnürrte Konjunkturpaket drohe hingegen zu verpuffen

DIERK HIRSCHEL, 39, ist promovierter Volkswirtschaftler und seit 2003 Chefökonom beim Deutschen Gewerkschaftsbund.

INTERVIEW BEATE WILLMS

taz: Herr Hirschel, die Gewerkschaften fordern schon lange eine aktivere Konjunkturpolitik. Jetzt legt die Bundesregierung ein Paket auf – und Sie sind noch nicht zufrieden?

Dierk Hirschel: Es ist gut, dass wir in Deutschland erstmals seit 35 Jahren wieder über Konjunktursteuerung reden. In den angelsächsischen Ländern wird sie seit eh und je auch praktiziert. Mit Erfolg: Ein durchschnittlicher Abschwung dauert in den USA 11 Monate und hierzulande 28. Jeder zusätzliche Monat bedeutet aber millionenschwere Steuer- und Beitragsausfälle.

Was stimmt dann nicht mit dem Paket?

Es steht zwar Konjunkturförderung drauf, tatsächlich handelt es sich aber zu 95 Prozent um reine Angebotspolitik. Mit Zinsen, Abschreibungen und Zulagen sollen Unternehmen und Haushalte unterstützt werden – in der Hoffnung, dass sie die Anreize annehmen und entsprechend investieren. Aber dafür gibt es in einem Abschwung keine Garantie. Ich befürchte große Mitnahmeeffekte.

Die Bundesregierung will auch selbst in die Infrastruktur investieren und so Nachfrage schaffen.

2009 und 2010 je 1 Milliarde Euro in die Verkehrsinfrastruktur. Das ist ein Witz.

Was wäre ernsthaft?

Mindestens 1 Prozent des Sozialprodukts. Das sind in Deutschland rund 25 Milliarden Euro. 15 Milliarden davon sollten wir für öffentliche Investitionen in laufende Projekte ausgeben. Dort gibt es schon die nötige Verwaltungsstruktur. Das wären vor allem Kitas, die CO2-Gebäudesanierung, der öffentliche Verkehr.

Und der Rest?

Bis die Investitionen greifen, dauert es erfahrungsgemäß sechs Monate. Ein Konjunkturpaket müsste aber sofort Wirkung zeigen, sonst droht es unter einer Welle von Pessimismus begraben zu werden. Deshalb brauchen wir sofort Konsumanreize, also eine Stimulierung der privaten Nachfrage.

Also Barschecks?

Kann man machen, sie sind aber zu wenig zielgerichtet. Ich plädiere für eine Anhebung des steuerfreien Existenzminimums und damit verknüpft eine starke Erhöhung der Hartz-IV-Sätze. Denn einkommensschwache Haushalte geben jeden zusätzlichen Cent unmittelbar aus.

Wenn Sie recht haben, ist das Konjunkturpaket zum Scheitern verurteilt.

Das ist zu befürchten. In den Ministerien sitzen Beamte, die keine Erfahrung mit Konjunkturpaketen haben. Und auch die deutsche Ökonomenzunft ist in dieser Hinsicht verwahrlost. Die große Gefahr ist, dass das, was die Bundesregierung jetzt als Konjunkturpaket verkauft, verpufft – und dass alle Versuche einer ernsthaften Konjunktursteuerung wieder auf Jahre hinaus diskreditiert werden.