Abgeordnete testen ihre neuen Grenzen

HANDEL Beim geplanten Freihandelsabkommen der EU mit Südkorea dürfen auch die Europaparlamentarier mitreden. Vor allem die Autolobby legt sich deshalb ins Zeug. Liberalisierungskritiker bleiben skeptisch

Die europäischen Autobauer fürchten Konkurrenz – und Umweltstandards

BRÜSSEL taz | Es ist ein Testballon für ein demokratischeres Europa und eine Lehrstunde in Freihandelspolitik: Zur Einführung ihres geplanten Freihandelsabkommens mit Südkorea muss die Europäische Kommission erstmals auch das Europaparlament an der Einführung weitreichender Marktliberalisierungen beteiligen. Das führt in Brüssel zu allerhand Unruhe: Industrielobbyisten haben das Parlament für sich entdeckt, die Abgeordneten lassen die Muskeln spielen – und freihandelskritische NGOs kritisieren den neuen Vertrag.

Worum geht’s? Mit dem Korea-Abkommen möchte die EU den Außenhandel weiter liberalisieren und bis Ende des Jahres Fakten schaffen. Besonders daran ist: Seit dem vergangenen Dezember räumt der Vertrag von Lissabon dem Europaparlament mehr Beteiligungsrechte ein. Erstmals müssen also auch die Abgeordneten einem solch weitreichenden Freihandelsabkommen zustimmen. Die Parlamentarier testen derzeit ihre Grenzen und mühen sich, noch größtmöglichen Einfluss auf die Klauseln zu nehmen, die den europäischen Markt dabei schützen sollen. Künftig wollen sie früher einbezogen werden.

Und während die Industrie sonst gern ungezügelten Freihandel propagiert, wittern insbesondere die Autohersteller beim konkreten Vorhaben Nachteile. Kleinwagenproduzenten wie der italienische Autobauer Fiat fürchten Konkurrenz, wenn künftig koreanische Niedrigpreisautos von Hyundai, Kia und Daewoo verstärkt auf den europäischen Markt stoßen. Hersteller größerer Fahrzeuge wie Mercedes und BMW beargwöhnen das Abkommen, weil in Korea deutlich höhere Emissionsstandards gelten als hierzulande, was ihnen den Export erschweren könnte. Deshalb sind die Lobbyisten verstärkt unterwegs.

Aber auch die Qualität des Abkommens ist spannend: Mit dem Mammutvertrag liegt seit Langem wieder ein Dokument vor, das für künftige Freihandelsabkommen Vorbildcharakter haben könnte. Nachdem die multilateralen Verhandlungsrunden ins Stocken geraten waren, gibt es verstärkt bilaterale Abkommen. So verhandelt die EU momentan etwa mit Indien und mit Kolumbien über weitreichende Marktliberalisierungen.

Ob weiterer Freihandel der richtige Weg ist, ist aber umstritten. „Der Vertrag zeigt, dass die Mär vom Freihandel, der allen nützt, nicht stimmt“, sagt der handelspolitischer Referent der Grünen im Europaparlament, Martin Köhler. Für Horst Mund, Leiter des Fachbereichs Internationales im Vorstand der IG Metall, wird das auch beim Abkommen mit Korea deutlich: „Koreas Gewerkschaften werden massiv behindert. Daraus ergeben sich unfaire Wettbewerbsvorteile für die koreanische Wirtschaft zulasten ihrer Wettbewerber, die nicht akzeptabel und die zu beseitigen sind.“ Grundsätzlich sei die IG Metall schon für Freihandel – ähnlich wie die Autolobby.

Gegen unfaire Wettbewerbsbedingungen hatten Industrieverbünde in der Vergangenheit selten etwas, schließlich stehen sie meist auf der Gewinnerseite. So auch diesmal: „Unterm Strich profitiert die europäische Industrie von dem Abkommen“, sagt etwa der CDU-Abgeordnete Daniel Caspary.

Kritischer sehen das entwicklungspolitische Organisationen wie Weed. Deren Sprecher, Peter Fuchs, sagte der taz: „Das Abkommen ist ein völlig untauglicher Beitrag zu einer fairen Entwicklung der Weltwirtschaft. Es versagt vor den sozialen Herausforderungen dieses Jahrhunderts und enthält keinerlei Sanktionen beim Verstoß gegen Sozial- und Umweltstandards.“

MARTIN KAUL