Stuttgart-21-Protest soll bundesweit ausstrahlen

BAHNHOF Heute kann die Republik die Schlichtung live mitverfolgen. Nächste Woche Proteste in Berlin

BERLIN taz | Der Streit über Stuttgart 21 wird zum Deutschland-Event: In der baden-württembergischen Landeshauptstadt gehen am heutigen Freitag die von CDU-Politiker Heiner Geißler moderierten Schlichtungsgespräche zwischen Gegnern und Befürwortern des umstrittenen Großbauprojekts in Stuttgart in die nächste Runde. Die Gespräche, bei der gemeinsam mit Experten die Fakten zum geplanten Bahnhofsbau erörtert werden sollen, werden ab 10 Uhr live vom Fernsehsender Phoenix und dem SWR übertragen.

Geklärt werden soll dabei unter anderem, ob der geplante Bahnhofsneubau allen verkehrstechnischen Anforderungen entspricht. Kritiker bezweifeln dies.Der Sprecher des Fahrgastverbandes „Pro Bahn“, Matthias Oomen, sagte am Donnerstag: „Wir hoffen, dass die Deutsche Bahn am Freitag Antworten auf brisante Fragen geben wird.“ Der Verband befürchtet etwa, dass durch eine wesentlich geringere Gleisanzahl des neuen unterirdischen Bahnhofs rasch strukturelle Engpässe durch einzelne verspätete Züge entstehen könnten, die auch Auswirkungen auf den überregionalen Bahnverkehr haben könnten.

Unterdessen bemühen sich die Stuttgart-21-Gegner verstärkt darum, die bundesweite Dimension der Auseinandersetzung weiter in den Vordergrund zu rücken. „Für dieses Prestigeprojekt werden die Steuerzahler in ganz Deutschland zur Kasse gebeten, und zwar von der Bundesregierung“, sagte Valentin Funk von der Stuttgarter Gruppe „Parkschützer“ am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Berlin. Alexis Passadakis vom Koordinierungskreis des globalisierungskritischen Netzwerks Attac sagte: „Obwohl sie öffentlich ist, agiert die Deutsche Bahn – noch immer mit Blick auf einen Börsengang – als privater Konzern.“ Er forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu auf, das Projekt zu stoppen und eine demokratische Kontrolle der Bahn zu ermöglichen.

Unterdessen wollen die Bahnhofsgegner ihren Protest nicht nur verbal und via Fernsehübertragung vermitteln, sondern mit zahlreichen Veranstaltungen und einem bunten Kulturprotest auch ganz konkret in die Bundeshauptstadt tragen. Für den kommenden Dienstag kündigt das Bündnis ein ganztägiges Aktionsprogramm in Berlin an, zu dem unter anderem 600 Menschen aus Stuttgart mit einem Protestsonderzug anreisen werden.

In Berlin wollen sie einen Widerstandsbaum vor dem Kanzleramt einpflanzen und bei der Schweizer Botschaft einen ironischen Antrag auf Aufnahme der Stadt Stuttgart als neuen Kanton der Schweiz stellen. Denn dort sind im Gegensatz zu Baden-Württemberg und Deutschland weitreichende Volksabstimmungen eine Selbstverständlichkeit. Bei ihrem Berlin-Besuch wollen die Demonstrierenden mit Bundestagsabgeordneten zusammenkommen, eine kulturelle Protestschifffahrt durch das Regierungsviertel veranstalten und um 17 Uhr mit einer Kundgebung und einem sogenannten Schwabenstreich vor der Konzernzentrale der Deutschen Bahn lautstark protestieren. In der baden-württembergischen Landeshauptstadt demonstrieren bereits seit Monaten Tausende von Menschen gegen das Projekt, den bisherigen Kopfbahnhof durch einen unterirdischen Durchgangsbahnhof zu ersetzen.

MARTIN KAUL