Kolumne Lustobjekte: Ohrenkrebs für Diebe

Eigentlich wollte ich dieses iPhone gar nicht. Dann schlich es sich still und leise in mein Herz. Jetzt ist es weg.

"Handy ins Klo vom Berghain gefallen." - "Nicht erreichbar, Handy in der Spree." Liebe Leserinnen und Leser, das sind Facebook-Meldungen, die schockieren. Wie konnten meine Freunde angesichts dieses Verlustes auch nur einen einzigen Tag weiterleben, fragte ich mich lange. Jetzt weiß ich: Alltag ohne Handy, das ist die Überwindung des Kapitalismus.

Es ist Freitagabend, und ich bin unterwegs mit M. und P. Der Plan: Eine Kneipentour mit Tischfußball und Anlernen einer Torfrau (ich!). Wir trinken Bier und erfinden einen Feng-Shui-Kickertisch (jede Reihe hat zwei Spieler, die Tore dürfen nicht gegenüberliegen, damit die Energie fließen kann, und überall hängen Kristalle). Nach sieben Stunden und einer sich ankündigenden Sehnenscheidenentzündung im Handgelenk geht in der Kneipe das Licht aus. Auf dem Weg nach draußen merke ich, dass mein iPhone weg ist. M. ruft an und erreicht nur die Mailbox. Die Barfrau macht trotzdem noch mal das Licht an, ich robbe über den Boden, das Handy bleibt verschwunden. "Lass doch deine Nummer da, falls es beim Aufräumen noch auftauchen sollte", sagt die Barfrau. Ha. Sehr witzig.

Draußen warten die Jungs und sehen geknickter aus als ich. "Keine Angst, ich fang jetzt nicht an zu heulen", sage ich.

In der Kneipe gegenüber, bei Bier und Tequila betrachtet, ist der Diebstahl eigentlich nur mittelschlimm. Das Handy war 1.) ein Geschenk, 2.) sind alle Nummern auf meinem Computer synchronisiert, und 3.) hatte ich mich am Anfang sowieso mit Händen und Füßen dagegen gesträubt, einer dieser Smartphoneträgerklone zu werden. Ja, ich war stolz auf mein uraltes Analoghandy, mit dem ich locker Serientäter hätte verprügeln können. Außerdem war es pflegeleicht, uneitel und einfach nicht kaputtzukriegen. Dagegen muss das iPhone erst mal ankommen. Was ich nicht registriert hatte: Dieses blöde Ding hatte sich über die Monate still und leise in mein Herz geschlichen. Jetzt überkommt mich der Verlustschmerz bei jedem Schluck. Ich denke: Wahrscheinlich sitzt der Dieb gemütlich mit einem Glas Wein und Salzcrackern auf der Couch und hört meine Musik. Wenn ich das geahnt hätte, hätte ich mein iPhone mit der gesamten The-Dome-Compilation bespielt. Ohrenkrebs für Diebe! Verdammt.

Wir bestellen noch ein Bier um den hochsteigenden Ärger gleich wieder runterzuspülen. Es hilft, bis mir einfällt, dass ich am Sonntag arbeiten muss. Nur: Wie zum Teufel soll ich überhaupt aufstehen? Das Wecken erledigte bislang das Handy. Sehnsüchtig denke ich an den besten Weckton der Welt: "Good bait" von Nina Simone. "Scheiß auf Nina", sagt P. "Kauf dir lieber so ein Wake-up-Light, das den Sonnenaufgang simuliert." Schön, denke ich, und meine Laune steigt.

P. bietet mir sein Zweithandy in Wurzelholzoptik an, das 1847 auf den Markt kam und eine Antenne zum Ausziehen hat. Ich flüchte aufs Klo. An der Wand steht: "In fünf Minuten wird geschissen, ansonsten wirst du rausgeschmissen." Schnell ein Foto, denke ich. Und dann: Mist, keine Kamera. Auch egal, dann müssen wir halt wiederkommen. Irgendwann fallen wir aus der Kneipe und blinzeln in die Sonne. Zum Glück habe ich keine Ahnung, wie spät es ist - meine Armbanduhr ist vom Flohmarkt und hat noch nie funktioniert. Dafür habe ich heute Nacht fürs Leben gelernt: Der Torwart steht immer außen. Bevor man den Ball abspielt, muss man ihn stoppen. Und den Kapitalismus kann man locker überwinden.

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Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).

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