Ein Fürstentum auf vier mal vier Metern

PREMIERE Weit hinten. Halle 17. Ein Stand, den es auf der Grünen Woche zuvor nie gab: Liechtenstein. Liechtenstein?

■ Das Land I: Liechtenstein ist der sechstkleinste Staat der Welt, mit 160,5 Quadratkilometern nur halb so groß wie Bremen. Hauptstadt der konstitutionellen Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage ist Vaduz, Amtssprache Deutsch, gezahlt wird mit Schweizer Franken.

■ Das Land II: Klein und schnuckelig, dafür aber mit Bergen und Tälern und dem Blick auf die Rheinebene. Wanderwege, Almen, moderne Architektur, ein natürlicher See, viele künstlich angelegte. Höchste Erhebung: Vorderer Grauspitz, 2.599 Meter.

■ Die Fürstenfamilie: Familien- und Staatsoberhaupt ist Hans-Adam II., 66, der mit vollem Namen Johannes Adam Ferdinand Alois Josef Maria Marko d’Aviano Pius von und zu Liechtenstein heißt. Jung-Fürst Alois wird langsam ans Dasein als Staatsoberhaupt herangeführt. Die Familie zählt zu den ältesten Adelsfamilien, nicht alle ihrer über einhundert Mitglieder wohnen zu Hause. Verdienen ihr Geld unter anderem mit Reisforschung und, ganz wichtig, die Bankengruppe LGT.

VON FELIX ZIMMERMANN

Liechtenstein, das ist das Ziel, aber um hinzukommen, muss man Menschengetümmel durchpflügen, Gerüchen ausweichen und einem, der einen Patronengürtel trägt, nur sind die Patronen riesige Würste und keine Patronen.

Man riecht also Menschenschweiß und Tierdung und müht sich, Halle 17 nicht aus den Augen zu verlieren, wo das Fürstentum, erstmals auf der Grünen Woche, einen Stand hat. Die Frage ist: Was will das Land dort, ein Bankenplatz auf der Fressmesse?

Überall kleine Pappteller, auf denen, zum Beispiel, Wurststückchen liegen. Die mögen in der Hitze der Messehallen ihre Farbe verändert haben, egal; die Rosinenbomber-Mentalität ist stärker. Was den Berlinern – die meisten Grüne-Woche-Besucher kommen ja aus der Stadt drum herum – vorgesetzt wird, nehmen sie. Abends sind sie zufrieden: satt gegessen für umsonst.

Die Südtiroler präsentieren sich zur Musik der „Zommgschwoasten“, einem dirndligen Duo aus Akkordeon und Harfe, mit ihren Äpfeln aus Industrieanbau als „Apfelland“. Nebenan, am Stand mit dem vielversprechenden Namen „L’ABC del Gusto“, schreit schwarze Schrift auf grellgelber Pappe ein „Angebot!!“ heraus: „Ab 1 kg Parmesan zwei Salami gratis.“ Parmesan, ein Kilo zumal, brauche ich zwar gerade nicht, aber wenn’s die Würste dazu gibt … Rrrums, fast mit jemandem zusammengestoßen, der mitten auf dem Weg ein Eis isst, während sich seine Begleiterin, schon einen Schritt weiter, mithilfe eines in rotem Leder gefassten Taschenspiegels die Lippen nachzieht. Man glaubt, nie ans Ziel zu kommen, erblickt dann aber ein aus Stellwänden gezimmertes Restaurant, über dem Schweizer Flaggen hängen.

Wo die Schweiz ist, kann Liechtenstein nicht fern sein. Und so, endlich, steht man vor der vielleicht ruhigsten Ecke dieser Essmesse: Liechtenstein, das kleine Fürstentum, auf der Weltkarte eingeklemmt zwischen Österreich und der Schweiz, Ziel des Besuchs in Messehalle 17, direkt unterm Funkturm gelegen. Auch hier nur ein Appendix der Schweiz; statt eines ihrer Kantone hat sie diesmal das „Ländle“ als Gast dabei, so nennen die Liechtensteiner selbst die 24 mal 12 Kilometer, die ihre Heimat sind. Hier findet sie Platz in einer auberginenfarbenen Box auf vier mal vier Metern Grundfläche. Klein und diskret, wie man es von dem Land erwartet, das als Bankenplatz bekannt ist, als Paradies für Steuerbetrüger, als Winz-Monarchie im Herzen Europas.

Und wenn man fragt, was dieses Liechtenstein auf der Grünen Woche sucht, dann ist das schon die Antwort: Das Land will weg von seinem Image, in dem das Bankgeheimnis quasi mit dem Siegel der Unantastbarkeit Mehrfachmillionären wie dem ehemaligen Postchef Klaus Zumwinkel – dem prominentesten Fall eines trickreichen Steuerbetrügers – Diskretion und ungestörte Vermögensakkumulation erlaubte, bis ein Bankmitarbeiter Steuerbetrügernamen auf CD gebrannt und außer Landes geschafft hat. Liechtenstein will sich als Urlaubsland darstellen, in dem Kühe grasen und Milch geben, die zu Käse verarbeitet wird oder die Grundlage für Schokolade bildet. Es gibt einige Berge in Liechtenstein, man kann dort wandern und gut essen, sagt die Dame von Liechtenstein Tourismus.

Aber was? Bislang hat sie, was angesichts der Dauerpräsenz von Nahrungsmitteln auf der Grünen Woche sympathisch ist, dem Zweck der Messe aber doch zuwiderläuft, noch nichts angeboten. Auf Nachfrage öffnet sie ein Bier aus dem Brauhaus Liechtenstein, das auch ungekühlt ganz gut schmeckt, später noch ein Glaserl Wein, einen Zweigelt aus der fürstlichen Hofkellerei.

Der Fürst ist sehr präsent, aus dem Reisekatalog lächelt er, Hans-Adam II., mitsamt Gemahlin, Jungfürst Alois und Jungfürstlady und den drei Enkeln; die papierne Zierlandesfahne – seine Fahne – in Blau-Rot mit gelber Fürstenkrone steckt in einer leer getrunkenen Bierflasche. „Wir hatten keine Vasen“, sagt die Tourismuswerberin. Sympathisch, irgendwie, so volksnah, wie der Fürst es selbst sein soll.

Ja, nun, was aber macht Liechtenstein kulinarisch so aus, abgesehen von Bier, Käse, Schokolade und Wein? Was isst der Liechtensteiner, wenn er sich in der Fremde, in Berlin etwa, mit Landsleuten trifft? „Currywurst“, sagt die Dame und lacht. Okay, anders gefragt: Was serviert der Fürst, wenn er Gäste hat und als Liechtensteiner glänzen will? „Rebel vielleicht“, sagt sie, gemahlener Mais, mit Wasser und Milch gekocht, in der Pfanne gebräunt. „Oder Käsknöpfle – also Spätzle – oder Gschwelti“ – Pellkartoffeln mit Käse und Butter. Einfache Gerichte, der Bankenplatz, ein Ort des Wohlstands, gibt sich bäuerlich, derb, einfach.

Vielleicht hat man dem Land bislang Unrecht getan.

Die Tourismusfrau kramt unterm Tresen in einer Schachtel und holt einen Plastikriegel hervor, „auch etwas typisch Liechtensteinerisches“: getrocknete Salamistängel, „Partysticks“ genannt, die man laut Hersteller roh verzehren kann. Aber die Landschaft im Fürstentum, die sieht wirklich hübsch aus.