In Valencia fehlt das Schubladendenken

KRISE Spanien muss sein Defizit wegen lange unbeachteter Rechnungen nach oben korrigieren. Schuld sind vor allem die konservativ regierten Regionen, die eigentlich als vorbildlich verwaltet galten

Spanien muss nun vier weitere Milliarden Euro einsparen

MADRID taz | Spaniens konservative Regierung tut alles, um ihre Glaubwürdigkeit zu schädigen. Nachdem die im November abgewählte sozialistische Regierung das Haushaltsdefizit 2011 auf 6 Prozent berechnete, korrigierten die neuen konservativen Nachfolger die Zahl Anfang des Jahres auf 8,5 Prozent – am vergangenen Freitag gar auf 8,9 Prozent nach oben. Schuld sind einmal mehr die spanischen Regionen. Sie hatten zum wiederholten Male falsche Zahlen zur Zentralregierung nach Madrid gemeldet.

Nachdem die Regierung von Mariano Rajoy vergangene Woche die Haushalte überprüfte, tauchten neue Löcher auf. Die größten Fehlbeträge stammen ausgerechnet aus der Mittelmeerregion Valencia und dem Umland der Hauptstadt Madrid. Beide Regionen werden seit Jahren von Rajoys konservativer Partido Popular (PP) regiert und galten diesem immer als Beispiel „guter Verwaltungsarbeit“. Jetzt werden mindestens 4 Milliarden zusätzliche Einsparungen nötig, um das – gegenüber Brüssel für Ende 2012 versprochene – Defizit von 5,3 Prozent zu erreichen. „Wir setzen weiterhin auf die Kontrolle des Defizits“, erklärte Rajoy am Wochenende am Rande des Nato-Gipfels, der in Chicago stattfand.

Wo er zusätzlich einsparen will, ist nicht klar. Der Haushalt 2012 fällt um 27 Milliarden Euro niedriger aus als der von 2011. Und dieser war bereits das Ergebnis eines auf 15 Milliarden angelegten Sparpaketes. Zudem verordnet Madrid den Regionen für dieses Jahr Einsparungen von 10 Milliarden Euro im Bildungs- und Gesundheitswesen. Am Dienstag gingen deshalb überall im Land die Lehrer und Uni-Professoren in den Ausstand. Schüler-, Studenten- und Elternverbände unterstützten den Streik. In der Mittelmeerregion Valencia hat sich das eingestandene Defizit in nur drei Monaten verdreifacht. Statt der erklärten 1,5 Prozent beläuft sich das Loch im Haushalt der konservativen Region auf 4,5 Prozent. Schuld sind Rechnungen in einer Gesamthöhe von über 1 Milliarde Euro, die seit zwei Jahren unbezahlt in irgendwelchen Schubladen schlummerten. Hat daran keiner gedacht?

Ähnlich sieht es in Madrid aus: Hier brüstete sich die konservative Landesmutter Esperanza Aguirre, den gesündesten Haushalt aller spanischen Regionen zu haben. Auf nur 1,1 Prozent belaufe sich das Defizit und erfülle damit schon jetzt die von Rajoy geforderte Unterschreitung von 1,5 Prozent für 2012. Jetzt tauchten auch in Madrid unbezahlte Rechnungen über mehrere hundert Millionen Euro auf. Das tatsächliche Defizit verdoppelt sich auf 2,2 Prozent. Nach dieser Nachricht schauten Anfang der Woche alle auf die Zinsen für Staatsanleihen. Zwar schnellten sie nicht – wie befürchtet – in die Höhe, lagen einmal mehr aber zwischen 483 und 498 Punkten über den zehnjährigen Staatsanleihen Deutschlands und damit bei über 6 Prozent. Ein Zinssatz, der Spaniens Staatsfinanzen mittelfristig unwägbar macht.

Hinzu kommt die Sorge um den Bankensektor. Seit der Verstaatlichung des Sparkassenzusammenschlusses Bankia rund um die hauptstädtische Caja Madrid reißen die Gerüchte nicht ab, Spaniens Finanzbranche müsse unter den EU-Rettungsschirm schlupfen. Die Sanierung von Bankia wird mindestens 7,5 Milliarden Euro kosten.

Das Wirtschaftsministerium erteilte am Montag den Beratungsfirmen Roland Berger und Oliver Wyman den Auftrag, die spanischen Banken zu überprüfen. Sie sollen über die Auslagerung fauler Kredite in sogenannte Bad Banks beraten. Auch Brüssel wird einen Fachmann schicken. Um Spanien unter die Arme zu greifen, will die EU-Kommission Gelder aus den Regionalfonds schneller auszahlen. Es geht um 939 Millionen Euro für Bauvorhaben in den Bereichen Umwelt und Verkehr.

REINER WANDLER