Rekord bei Exportüberschuss

AUSFUHREN Deutsche Unternehmen haben so viele Waren ins Ausland geliefert wie noch nie. Wirtschaftswissenschaftler kritisieren ein gefährliches Ungleichgewicht

„In Deutschland fehlt die außenwirtschaftliche Balance“

GUSTAV HORN, ÖKONOM

VON ANJA KRÜGER

BERLIN taz | Deutsche Unternehmen exportieren wie die Weltmeister: Im vergangenen Jahr wurden aus Deutschland Waren im Wert von 1133,5 Milliarden Euro ausgeführt. Nach Deutschland eingeführt wurden Waren im Wert von 916,6 Milliarden Euro. Damit lag der Exportüberschuss mit 216,9 Milliarden Euro deutlich über dem des Vorjahres mit 195,0 Milliarden Euro und über dem bisherigen Höchststand von 195,3 Milliarden Euro im Jahr 2007.

„Das ist kein Anlass zur Freude, sondern zur Sorge“, sagt Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. „Es fehlt die außenwirtschaftliche Balance.“

Deutschland exportiert traditionell mehr Waren, als es importiert. Branchen wie Maschinen- und Autobau führen mehr als die Hälfte ihrer Produkte aus. Das verarbeitende Gewerbe insgesamt exportiert fast die Hälfte seiner Erzeugnisse. Wichtigste Handelspartner sind EU-Staaten, die USA und Großbritannien. Zwar haben Ausfuhren in EU-Krisenstaaten wie Griechenland, Spanien und Portugal nachgelassen. Aber dafür wurden die Lieferungen in Nicht-Euro-Länder wie Großbritannien, USA und China massiv ausgebaut.

Der Steigerung des Exportüberschusses geht allerdings nicht nur auf mehr Lieferungen zurück. Allein der gesunkene Preis für Öl schlägt sich in der Bilanz mit etwa 10 Milliarden Euro nieder, schätzt Steffen Henzel vom Münchener ifo Zentrum für Konjunkturforschung und Befragungen. Auch der schwache Euro verzerre das Ergebnis. „Der Haupteffekt des schwachen Euro kommt aber erst in diesem Jahr“, sagt er.

Auch der Ifo-Mann sieht in den neuen Zahlen keinen Grund zum Jubeln. Der wachsende Exportüberschuss zeige, dass deutsche Unternehmen Kapital im Ausland parken – Geld, das dann im Inland für Investitionen fehlt. „Das ist auf Dauer kein Zustand, der gut ist für eine Volkswirtschaft“, sagte er. Henzel sieht darin ein Zeichen dafür, dass Unternehmen Deutschland nicht als interessantes Investitionsumfeld sehen – unter anderem, weil andernorts aufgrund niedrigerer Lohnkosten höhere Gewinne zu erzielen seien.

„Der Rekordüberschuss zeigt, dass wir das außenwirtschaftliche Ungleichgewicht nicht überwunden haben“, sagt Wirtschaftswissenschaftler Horn. Das führe zu einer Instabilität, die gefährliche Folgen haben könnte. Denn den hohen Exportüberschüssen stehen Defizite gegenüber, die Länder über Schulden finanzierten, so Horn. Die Folge könnten Währungsturbulenzen sein, wenn Staaten ihre Währungen abwerten, um konkurrenzfähiger zu sein. Kommt es zu einer Aufwertung des Euro, würde das die Krisenländer in der EU hart treffen – und das im Ausland geparkte Kapital. Denn es würde massiv an Wert verlieren. In der Finanzkrise nach 2008 ist es zu enormen Wertverlusten nach diesem Muster gekommen. „Doch dass es sich bei Exportüberschüssen um prekäres Vermögen handelt, ist noch nicht in den Köpfen“, sagte Horn.

Deswegen plädiert der Wissenschaftler dafür, die Binnennachfrage in Deutschland anzukurbeln und so gegenzusteuern – beispielsweise durch massive Lohnsteigerungen. „Das wäre auch eine Belohnung der Beschäftigten für die Exportleistung“, sagt er. Denn anders als die Unternehmen profitierten die Beschäftigten bislang nicht von den Exporten. „Der Exportüberschuss wird nicht in Wohlstandssteigerung umgewandelt“, kritisierte er. Um die Binnennachfrage anzukurbeln, sind seiner Auffassung nach mehr Investitionen des Staates erforderlich, zum Beispiel in die Infrastruktur.

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