Integrationssenatorin Carola Bluhm: "Der Gestus ist wichtig"

Die neue Integrationssenatorin Carola Bluhm (Linke) will die Gleichstellung von MigrantInnen gesetzlich absichern. Wie genau, ist noch unklar.

Carola Bluhm (Linke) nach ihrer Ernennung. Bild: dpa

taz: Frau Bluhm, etwa gleichzeitig mit Ihrem Amtsantritt Mitte Oktober begann - angestoßen durch ein Interview des ehemaligen Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD) - wieder einmal eine Debatte, in der das Scheitern der Integration beklagt wurde. Wie geht man als neue Integrationssenatorin damit um?

Carola Bluhm: Das ist eine Herausforderung. Es gibt in Berlin eine große Ignoranz gegenüber den Erfolgen von Integrationspolitik. Schauen Sie sich Heinz Buschkowsky an …

… den SPD-Bürgermeister von Neukölln …

… er bekommt Beifall dafür, dass er immer wieder eine zu scheitern drohende Gesellschaft beschreibt. Dabei könnte man jeden Tag eine gute Nachricht in Sachen Integration produzieren. Die würde aber nicht in gleichem Maß Niederschlag finden.

Versuchen Sie es doch mal.

Seit knapp drei Monaten ist die neue Integrationssenatorin nun im Amt: Carola Bluhm (Linkspartei) übernahm das Amt von ihrer Parteigenossin Heidi Knake-Werner, die in den Ruhestand ging.

Von ihrer Vorgängerin übernahm Bluhm auch das Projekt eines Integrationsgesetzes. Mit einem solchen Gesetz will Berlin als erstes Bundesland die gesellschaftliche Gleichstellung von EinwanderInnen rechtlich absichern. Über Eckpunkte des Gesetzes wird am Mittwoch der Integrationsbeirat des Landes diskutieren. Dieser hatte, wie auch Migrantenorganisationen, das Integrationsgesetz gefordert.

Etwa zeitgleich mit Bluhms Amtsantritt begann eine Integrationsdebatte, die der ehemalige Berliner Finanzsentaor und heutige Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin (SPD) ausgelöst hatte: Sarrazin hatte in einem Interview türkisch- und arabischstämmige MigrantInnen in Berlin als zum großen Teil weder integrationswillig noch -fähig sowie wirtschaftlich unproduktiv bezeichnet. Gegen ihn läuft seither ein Parteiausschlussverfahren. Auch der CDU-Landesvize Thomas Heilmann hatte die Debatte befeuert: In einem Interview äußerte er die Meinung, Berlin sei kein Einwanderungsland und forderte von den hier lebenden Migranten, sie sollten sich "bewegen".

Wir haben aufgrund zurückgehender Schülerzahlen und Fachkräftemangel in bestimmten Berufsgruppen wie ErzieherInnen jetzt eine Situation, die, wenn wir sie gut meistern, zu wichtigen Erfolgen in der Integration führen kann. Denn wir öffnen den Beruf nicht nur weiter für Menschen mit Migrationshintergrund, wir verbessern auch noch die frühkindliche Bildung für alle Kinder, indem Interkulturalität ganz normaler Bestandteil der Arbeit in der Kita ist. Wir haben eine wachsende Zahl von AbiturientInnen mit Migrationshintergrund. Wir nehmen mit unserer Kampagne "Berlin braucht Dich" immer mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund in den öffentlichen Dienst auf. Wir sind in ganz vielen Punkten dran, doch diese Erfolge werden kaum zur Kenntnis genommen. Mit der Verkündigung, Integration sei gescheitert, kann man dagegen immer landen. Obwohl es nicht der Realität entspricht.

Warum ist das so?

Weil die Integration von Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft ein langfristiger Prozess ist. Zudem ist die Debatte stark von Vorurteilen geprägt und wird sehr vereinfacht und oberflächlich geführt: Soziale und ökonomische finden gegenüber kulturellen Faktoren viel zu wenig Berücksichtigung. In der Tat ist die Arbeitslosigkeit von Migranten sehr hoch, das kann man nicht wegdiskutieren. Aber das hat auch mit Ablehnung und Ausgrenzung seitens der Mehrheitsgesellschaft zu tun.

Wie wollen Sie dagegen angehen?

Ein wichtiges Element unserer Strategie ist das geplante Integrationsgesetz, das Partizipationsmöglichkeiten künftig absichert und auf eine gesetzliche Grundlage stellt. Schon die Initiative zum Gesetz entstand ja aus der Partizipation heraus: Sie kam aus dem Landesintegrationsbeirat.

Welche konkreten Rechte soll das Gesetz denn enthalten?

Es schafft die gesetzliche Grundlage dafür, Integration zur Querschnittsaufgabe zu machen. Unter anderem geht es darum, die Integrationsbeiräte auf Bezirksebene so auszustatten, dass sie nicht von bezirklichem Wohlwollen abhängig sind. Dann geht es um die interkulturelle Öffnung der Verwaltung, die auf Betriebe mit Landesbeteiligung ausgedehnt werden soll. Letztere haben bereits das Ziel formuliert, bis 2013 mindestens 25 Prozent ihrer Ausbildungsstellen mit MigrantInnen zu besetzen. Solche Zielformulierungen sollen auch im Gesetz verankert werden.

Und dann auch einklagbar werden? Dafür ist ein Gesetz schließlich da!

Man muss erst einmal sehen, was man dazu an bestehenden Regelungen ändern müsste. Aber allein die Debatte darüber, was im Gesetz stehen soll, was die geeigneten Instrumentarien sind, ist außerordentlich wichtig. Man muss die Betriebe ja erst mal davon überzeugen. Und nicht gleich sagen: Ihr müsst aber.

Den Weg beschreitet Berlin aber schon lange, die freundliche Aufforderung an Betriebe, doch bitte mehr Migranten einzustellen, ist längst erfolgt. Das Integrationsgesetz soll doch weiter gehen?

Wir diskutieren das Gesetz im Moment ja erst. Es wäre ein Vorgriff, wenn die Integrationssenatorin jetzt sagt, was drin stehen soll. Am Mittwoch wird der Integrationsbeirat über die Eckpunkte des vorliegenden Entwurfs diskutieren. Da sind Staatssekretäre sämtlicher Ressorts mit ihren zum Teil sehr unterschiedlichen Meinungen anwesend. Und die Frage, wie man zum Beispiel bei der öffentlichen Auftragsvergabe die Interessen der MigrantInnen verankert, ist ja auch handwerklich nicht ganz einfach zu lösen. Das wird schon ein paar Monate Debatte geben.

Was muss denn Ihrer Meinung nach unbedingt rein ins Gesetz, wofür werden Sie kämpfen?

Im Eckpunktepapier stehen schon ein paar ganz vernünftige Sachen drin. Der Gestus ist wichtig, Integration zu einer Querschnitts- und Pflichtaufgabe zu machen.

Sie sehen Partizipation als Basis für erfolgreiche Integration. Wer von deren Scheitern redet, sagt aber: Die wollen doch gar nicht mitmachen!

Die Frage ist doch: Wie motiviere ich einen Hauptschüler, der weiß, dass er selbst mit einem guten Abschluss keine Chance auf dem Arbeitsmarkt hat?

Wie denn?

Mit Integration hat das Problem ja erst mal gar nicht viel zu tun. Es ist Ausdruck einer bildungsmäßig stark hierarchisierten Gesellschaft. Aber wenn ich mit der Kita als Bildungsinstitution anfange - die ja am Ende dieser Legislaturperiode in den letzten drei Jahren kostenfrei sein wird - und dort ein Bildungs-und Förderprogramm ansetze, wenn ich zudem zehn Prozent mehr Personal in diesen Bereich bekomme, etwa indem wir die Integrationslotsen und Stadtteilmütter über Zusatzqualifizierungen reinholen, wenn ich dann die Hauptschulen abschaffe, die Schulreform gut hinbekomme, dann kann ich diese Stigmatisierung in den Schulabschlüssen abschaffen. Das braucht aber ein durchgängiges Konzept.

Man kann die Schulen besser ausstatten und die Schüler mehr fördern. Aber Integration im Sinne von einer anderen Mischung der Schülerschaft werden Sie so wohl nicht hinkriegen.

Ich glaube nicht, dass wir alle Probleme auf einmal lösen werden. Aber ich glaube, wenn wir Bildungsstandards haben, die Stufe für Stufe bessere Perspektiven eröffnen, ist das auch schon ein Erfolg. Wir sind derzeit gar nicht in der Lage, adäquate Bedingungen für Chancengleichheit zu schaffen, weil es die öffentlichen Haushalte überhaupt nicht zulassen. Aber jetzt können wir die Mangelsituation auf dem Arbeitsmarkt nutzen, um Jugendliche zu motivieren. Weil die Arbeitsplätze tatsächlich da sind: In der Altenpflege, den Erziehungs-und Sozialberufen haben wir einen starken Bedarf. Das ist eine Riesenchance.

In einem Porträt der taz über Sie haben Sie Ihre eigene Integrationsgeschichte als ostdeutsche PDS-Abgeordnete beschrieben. Wenn Sie jetzt mit Einwanderern reden, denken Sie manchmal: Das kenne ich?

Darüber habe ich so noch nie nachgedacht, aber da ist schon was dran: Ich traf als junge Ostdeutsche mit einem Riesenpaket von gescheitertem Sozialismus auf Gesprächspartner, die mit einer solchen Biografie nichts anfangen konnten. Wenn mir heute MigrantInnen von Ausgrenzungserfahrungen erzählen, habe ich das bisher nicht auf meine eigene Geschichte bezogen. Aber man kann ein paar Parallelen ziehen.

Sind Sie jetzt integriert?

Ich denke, das ist ein aktiver Auseinandersetzungsprozess. Es ist ja auch ein Zeichen, wenn eine Ostberlinerin nun eine so verantwortliche Position für die ganze Stadt innehat. Bei Integration geht es ja auch um die Akzeptanz unterschiedlicher Lebensstile. Und da denke ich, genau das, was viele als Schwäche dieser Stadt ansehen, dass sie nicht das geordnete, bürgerlich geprägte System von Ordnung und Institutionen hat, ist eine Riesenchance für die Stadt. Nicht im Sinne der Chaostheorie, sondern als Chance, das Miteinander zu organisieren, statt nur das Nebeneinander zu ertragen.

Bürgermeister Klaus Wowereit hat jetzt verkündet, Integration künftig gar nicht mehr als ethnisches, sondern als soziales Problem zu betrachten. Und er hat Sarrazin gerügt.

Es ist gut, wenn der Regierende Bürgermeister der gesellschaftlichen Integration der gesamten Berliner Bevölkerung einen hohen Stellenwert gibt, denn bei Integration geht es immer um einen wechselseitigen Prozess, nicht um Anpassung oder Assimilierung. Zudem ist es sehr gut, wenn Wowereit selbst in der SPD den Kontrapunkt zu Akteuren wie Buschkowsky oder Sarrazin markiert. Denn die haben bei vielen Menschen mit Migrationshintergrund tiefe Verletzungen und damit mehr Desintegration als alles andere bewirkt.

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