Temporäre Kunsthalle verschwindet: Der Versuchsballon platzt

Nach zwei Jahren verlässt die Temporäre Kunsthalle den Schlossplatz. Um die Debatte über einen Ort für Gegenwartskunst am Leben zu erhalten, sollte sie schnell woanders wieder aufgestellt werden.

Ab 1. September wird sie zurückgebaut: Die Temporäre Kunsthalle am Schlossplatz Bild: dpa

Bei der letzten Publikumsdiskussion in der Temporären Kunsthalle sitzt der Liquidationsnotar in der ersten Reihe. Draußen, vor dem quaderförmigen Containerbau auf dem Schlossplatz, kündigt ein Baustellenschild bereits die Abbauarbeiten an. Die Zeichen draußen und drinnen lassen keinen Zweifel: Der weiße, derzeit mit bunten Motiven verzierte Kubus, der zwei Jahre lang Gegenwartskunst auf dem Schlossplatz zeigte, wird am 1. September verschwinden - und damit keinen Tag länger bleiben als die mit dem Land vereinbarte Zeit. "Wir wollen alles richtig machen, bis zum letzten Atemzug", sagte Diskussionsleiter und Kunsthallenmitorganisator Volker Hassemer über die ordnungsgemäße Abwicklung des Projekts.

Und als wollte man einen imaginären Sack zubinden, gab es dazu am Dienstagabend eine ebenso ordnungsgemäße letzte Debatte über die Frage, der die Temporäre Kunsthalle überhaupt ihre Existenz verdankt: Braucht Berlin eine Halle für zeitgenössische Kunst? Die fünf Herren auf dem Podium stritten sehr unterhaltsam über Orte, Aufgaben und Etat einer solchen noch zu bauenden Halle. Doch die Diskussion lief letztlich ins Leere: Die Antwort hat die Kunsthalle bereits selbst gegeben.

Die Ausstellung "36 x 27 x 10", die im Dezember 2005 in einem "White Cube" im ehemaligen Palast der Republik stattfand, gilt als Initialzündung für die Idee der Temporären Kunsthalle auf dem Schlossplatz. Die Schau konzentrierte sich auf Kunst, die in Berlin entsteht, und löste eine Debatte über eine neue Kunsthalle aus.

Für die Halle gab es zwei Entwürfe. Im Oktober 2007 erteilte der Senat der Temporären Kunsthalle den Zuschlag. Im Juni 2008 erfolgte der erste Spatenstich. Ende Oktober wurde sie eröffnet. Seitdem haben schätzungsweise 200.000 Besucher die Ausstellungen gesehen.

Die letzte, noch laufende Ausstellung ist spektakulär. Der Künstler John Bock hat auf vier Ebenen eine begehbare Installation entwickelt, die fast so groß ist wie ein Mietshaus. Es ist sein Universum der Gegenwartskunst: Rund 160 Werke von 63 Architekten, Designern, Komponisten und Künstlern finden Platz - darunter Franz West, Martin Kippenberger, Christoph Schlingensief und Ingrid Wiener.

Am kommenden Dienstag wird ab 20 Uhr mit mehreren Konzerten Abschied gefeiert.

Der Quader, der 2008 nach Plänen des Architekten Adolf Krischanitz gebaut und für 850.000 Euro mit privaten Geldern realisiert wurde, startete als großartiger Sehnsuchtsort. Und landet nach zwei Jahren als solider, jederzeit wiederverwendbarer Container für Ideen. Ist der "White Cube Berlin", wie das Projekt anfangs hieß, damit gescheitert? Nein, denn das weiße Ding auf dem Schlossplatz führte eindrucksvoll vor, was Berlin braucht: einen gut sichtbaren Ort für junge Kunst, an dem man sich trifft. Einen Ort mit Montagsbar, Autokino zur Berlinale, Publikums-Künstler-Dialogen.

Was Berlin dagegen nicht braucht, sind allzu große Namen, sind etablierte Künstler wie Gerwald Rockenschaub oder Candice Breitz, die man auch anderswo sehen kann. Die Temporäre Kunsthalle war und zeigte beides: das Notwendige und das Überflüssige. Und erfüllte damit ihre Funktion als Versuchsballon: Sie zeigte, wie leicht es ist, mit wenig Geld, Raum und zeitlichem Vorlauf einen ordentlichen Ausstellungsraum zu schaffen. Und wie schwer, diesen dann auch mit frischer "Berliner" Kunst und zahlungswilligem Publikum zu füllen.

Das Pendeln zwischen Massentauglichem und Eigenwilligem führte zu Zerwürfnissen und drohender finanzieller Pleite. Erst eine personelle und konzeptionelle Runderneuerung und neues Geld brachten zur Halbzeit den Aufschwung. Und als es dann richtig lief, die Halle unter Kunstkennern, Partygängern und Touristen eine bekannte Adresse wurde, war es auch schon wieder vorbei.

Mit dem Edelcontainer droht der von der Hauptstadt so dringend herbeigesehnte Kunstort wieder zu verschwinden. Junge Kunst wird es weiterhin geben, Partys und Debatten auch. Doch werden sie wieder, wie bisher, in den Galerien, Museen und Partyorten verschwinden. Von Neuem wird das Lamentieren darüber anheben, dass aufstrebende Berliner Künstler angeblich überall zu sehen seien - nur nicht in Berlin. Das stimmt zwar so nicht, wie der Gropiusbau unlängst mit seiner Olafur-Eliasson-Ausstellung gezeigt hat und die zahllosen kleinen Galerien mit ihren Neuentdeckungen täglich beweisen.

Trotzdem ist das Ende der Temporären Kunsthalle auf dem Schlossplatz ein Rückschritt. Jetzt einfach zu warten, bis der Regierende Bürgermeister politische Rückendeckung für seine Idee einer permanenten, staatlichen Kunsthalle bekommt, wäre vertane Zeit. Der Kunstcontainer ist da, die Erinnerung an ihn lebendig. Warum ihn nicht an anderem Ort wieder aufbauen, um die Kunsthallendebatte in Gang zu halten?

Das fragten sich auch die Diskutanten auf dem Podium im abrissreifen Quader. Bernhard Kotowski, der Vorsitzende des Berufsverbands bildender Künstler, plädierte für einen Ankauf des Tacheles-Grundstücks in Mitte. In bester Citylage ließe sich in Ruhe über Gestalt und Konzept der neuen Institution nachdenken. Der Leiter des Kunstgewerbemuseums schlug aus dem Publikum seinen Hinterhof vor: das glücklose Kulturforum am Potsdamer Platz. Es war der beste Vorschlag des Abends und sogar ein machbarer: Die Halle hätte dort Platz - und könnte Leben in den toten Museumsstandort bringen.

Viel wurde am Dienstagabend von Orten gesprochen, von laborartigen, fließenden und festen. Und immer wieder vom Kultursenator Klaus Wowereit, auf dem nun die Hoffnung der Kunsthallenfreunde ruht. Konkret wurde es am Ende nicht, der Sack blieb offen. Und der Mann mit der Clownsnase - vielleicht ein Künstler, vielleicht ein Kunstaktivist -, der den ganzen Abend sprungbereit neben den Diskutanten saß, als ob er eine Intervention vorbereitet hätte, er stieg am Ende ohne einen Zwischenruf aufs Fahrrad und fuhr nach Hause. Ein schönes Schlusssymbol für die Bilanz von zwei Jahren Kunsthalle.

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